taz.de -- Kommentar Ein Jahr Emmanuel Macron: Die Zustimmung bröckelt
Seit einem Jahr, seit seiner Wahl zum Präsidenten, missachtet Macron die Bindeglieder zwischen Staat und Gesellschaft. Das wird er bereuen.
Ein Jahr nach seiner Wahl zum französischen Präsidenten kann Emmanuel Macron sich rühmen: Mit einem gewaltigen Tritt zerstörte er die französische Parteienlandschaft wie einen Ameisenhaufen, aus dem man in alle Richtungen floh. Die traditionellen Parteien wurden zerschlagen; von den Anführern der sozialdemokratischen Parti Socialiste (PS) und der konservativen Republikaner (LR) ist derzeit nichts zu hören, und die Gewerkschaften haben momentan weniger ein Problem damit, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen als überhaupt eine Stimme zu finden.
Die stark zentralisierte Verwaltung des Landes, mit MinisterInnen, die lediglich Befehlsempfänger sind oder gar nicht erst existieren, und Bindegliedern zwischen Staat und Gesellschaft – also Gewerkschaften, Parteien und Interessengruppen –, die verachtet, wenn nicht gar links liegen gelassen werden, scheint momentan von einer – hauchdünnen – Mehrheit der Franzosen gebilligt zu werden.
Aber wie lange noch? Eines ist klar: Der eher linke Teil der Bevölkerung, welcher sich Macrons Lechts-Rinks-Motto („en même temps“) gegenüber offen gezeigt hatte, nach dem wirtschaftliche Reformen und eine solidarische Sozialpolitik kein Widerspruch sein sollten – diese Leute beginnen nun, ernsthaft zu zweifeln. An dem Schicksal nämlich, das den Prekärsten, den am meisten Abgehängten, und nicht zuletzt den durch das kürzlich verschärfte Asyl- und Einwanderungsgesetz geschwächten Migranten, vorbehalten ist.
Am Sonntag dann warnte Laurent Berger, Generalsekretär des größten französischen Gewerkschaftsbundes Confédération française démocratique du travail (CFDT), die Umsetzung der von Macron geplanten Reformen stehe auf dem Spiel: „Wenn wir ernsthaft erwägen, das ohne soziale, wirtschaftliche und lokale Akteure durchzuziehen, werden wir einen ziemlichen Reinfall erleben.“
Und der Mann ist weit entfernt davon, ein einzelner Wutbürger zu sein. Die Unterstützung, die Emmanuel Macron in der Öffentlichkeit bislang noch genießt, wird nicht ewig anhalten, betrachtet man einmal die Gesamtzahl der Unzufriedenheiten, die hier und da aufkeimen. An jenem Tag, an dem sich der Bruch endgültig vollzieht, wird Macron jenen Zeiten bitterlich nachtrauern, in denen er noch auf die Unterstützung derer zählen konnte, die qua Berufung als Puffer zwischen der Macht und dem Volk fungieren.
3 May 2018
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