taz.de -- Streik der Eisenbahner in Frankreich: „Wir sind bereit durchzuhalten“

Die Eisenbahner sind schon den zweiten Tag im Ausstand. Am Bahnhof Montparnasse in Paris sind vor allem Touristen von Zugausfällen überrascht.
Bild: Bahnstreik in Frankreich: Zeit für ungewöhnliche Maßnahmen

PARIS taz | So verlassen sieht der Bahnhof Montparnasse im Zentrum von Paris wirklich nur aus, wenn ein Streik bei der Bahn im Gange ist. Bahnsteige, auf denen sonst Gedränge herrscht, sind mit roten Bändern abgesperrt. Die meisten Leute waren rechtzeitig gewarnt worden.

Es ist Tag zwei [1][der groß angekündigten Streikwelle] der französischen Eisenbahner. Die Gewerkschaften wehren sich gegen [2][die Reformpläne] für Frankreichs staatliche Bahngesellschaft SNCF. Die Regierung will die Kosten senken, damit die SNCF im Wettbewerb bestehen kann. So soll etwa der vorteilhafte Eisenbahner-Status für Neueinstellungen wegfallen.

In den weitgehend menschenleeren Hallen vor den Gleisen stehen nun kleine Gruppen von Bahnangestellten mit leuchtend roten Westen mit der Aufschrift „Assistance“. Sie sollen ratlosen Reisenden helfen und Auskunft über trotz Streik verkehrende Züge oder andere Transportmittel geben. Normalerweise werden von hier aus zahlreiche Vororte und Provinzstädte im Süden und auch TGV-Strecken bedient. Doch heute ist das Angebot an Helfern weit größer als die Nachfrage. „Es sind fast ausschließlich Touristen, die von den Ausfällen überrascht sind“, erklärt einer.

Der 66-jährige Australier Gordon Davis, der in ein Ferienhaus im südwestlichen Lot-et-Garonne weiterreisen möchte, nimmt die Wartezeit gelassen und mit Ironie: „Meine Frau hat mir vorhin ein SMS geschickt: ‚Es gibt einen Streik – viel Spaß!‘, hat sie geschrieben.“

Wütend auf die Eisenbahner

„Ich bin gegen den Streik“, ruft dagegen eine nebenan sitzende etwa 80-Jährige. Sie habe für ihre Heimreise nach La Rochelle bei der Mitfahrzentrale Blablacar einen Platz in einem Auto gefunden und sich ihr Bahnticket zurückerstatten lassen, berichtet sie. Trotzdem ist sie wegen der Umstände wütend auf die Eisenbahner.

Gelangweilte Mienen dagegen sieht man in einem Bahnhofskiosk. Der Streik schlägt sich auf den Umsatz nieder. Zur Mittagszeit macht der Chef hier einen Kassensturz: In den drei Kassen wurden je Verkäufe von 80 bis 100 Euro registriert; an normalen Tagen dagegen sollen es mehr als 500 Euro sein. Mehrere der Läden im mehrstöckigen Bahnhofsgebäude haben gar nicht erst geöffnet.

Am Donnerstag wollen die Streikenden der CGT-Gewerkschaft in ganz Frankreich den Bahnbenutzern ein Extrablatt in der Auflage von einer Million verteilen. Mit dem Titel „La vraie info“ („Die wahre Information“) will die Gewerkschaft aus ihrer Sicht über Hintergründe und Forderungen informieren und hofft so auf mehr Verständnis für die Kraftprobe mit SNCF-Direktion und Regierung.

Die Gegenseite vertusche die schweren Konsequenzen der Reform, geben sie an: So seien rund 14.000 Kilometer Schienenwege vor allem in ländlichen Regionen von einer Stilllegung bedroht. Außerdem sei es nicht normal, das der SNCF die gesamte Schuldenlast für das TGV-Netz aufgebürdet werden, während der Staat den Straßenbau zu 100 Prozent finanziere.

„Wir sind bereit durchzuhalten. Es geht um sehr viel, und nicht einzig um unsere Interessen als Eisenbahner“, erklärt der CGT-Gewerkschaftssekretär von Paris-Montparnasse, Arnaud Marcienkievic. Der 30-jährige Lokführer sagt, er und seine KollegInnen seien bereit, dafür finanzielle Opfer zu bringen: Je nach Gehaltsklasse 50 bis 105 Euro pro Tag.

Der Konflikt könnte sich hinziehen: Im Rhythmus „2 Tage Ausstand – 3 Tage Arbeit“ wollen die Eisenbahner bis zu drei Monate durchziehen, um die Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen. Sieht so aus, als wäre der Bahnhof Montparnasse künftig noch öfter so verlassen wie am Mittwoch.

4 Apr 2018

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Rudolf Balmer

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