taz.de -- Die Wahrheit: Scootermann reißt sich zusammen

In diesem steinreichen Land ist es ein Luxus für jemanden, der Multiple Sklerose hat, einen kleinen Ausflug am Sonntagnachmittag zu machen.

Wie lange kann sich dieses Land Leute wie den Scooterman eigentlich noch leisten? Diese bedrohliche Frage sprang dem Scooterman ins Hirn, als er am Sonntag auf seine elektrisch betriebene Gehhilfe sprang, um nachzusehen, ob der Berliner Schlosspark auch ohne ihn klarkam.

Der Samstag war zäh vor sich hin geflossen. Selbst die nachmittägliche Berichterstattung von der Fußball-Bundesliga hatte kaum wirklich Spannung geboten. Immerhin war es nach dem Abpfiff ziemlich schnell dunkel geworden. Den Rest der Abendgestaltung übernahm eine Serie am Computer.

Nun also, am späten Sonntagmittag, hatte es schon etwas von Notwehr, als der Scooterman sich auf seine Gehhilfe wuchtete. Am Morgen hatte er die staatliche Solidargemeinschaft wegen seiner Multiplen Sklerose einiges gekostet. Um halb acht hatte ihm eine müde Hilfskraft aus dem Bett geholfen. Das war ohne Probleme geschehen. An jedem zweiten Abend muss sich ihr Scooterman nämlich Betaferon subkutan spritzen. Das führt dann manchmal dazu, dass seine Beine am nächsten Morgen so beweglich sind wie zwei tiefgefrorene Baumstämme, die irgendwo im finnisch-russischen Grenzgebiet stehen.

Aber nicht heute. Da saß er bereits in seinem Handrollstuhl. Und weil der Tag ihm fröhlich durch die Fenster zulächelte, untersagte er seiner Hilfskraft, ihn zu waschen. Nur das Deo ließ er sich reichen. Das hört nämlich auf den schönen Namen „Glücksgefühle“ und sollte schon deshalb in keinem Haushalt fehlen.

Für den Scooterman gab es ein verschlafenes Lächeln der Hilfskraft als Lohn. Schon vor zwei Tagen hatte ihm eine Kollegin gesagt, dass das Hilfskräfte-Unternehmen in Charlottenburg einen ungewöhnlich hohen Krankenstand hat. Wenn Scooterman richtig verstand, müssen drei Frauen alle Kunden in Charlottenburg aus dem Bett holen. Gut, dafür bekommen sie auch etliche Cent über Mindestlohn pro Stunde. Was machen die eigentlich mit der ganzen Kohle?

Vor ein paar Tagen konnte man bei Spiegel Online lesen dass 35 Menschen in Deutschland über die Hälfte des Vermögens dieses steinreichen Lands verfügen. Klar, dass die nicht einfach so auf die Straße können, sondern Limousinen mit Fahrern und kugelsicheren Scheiben brauchen.

Ihr Scooterman hat solche Probleme Gott sei Dank nicht. Der cruist auf seiner Elektrogehhilfe die Spree entlang. Hat für jeden ein freundliches Lächeln. Mit seiner Schwerbehindertenfrührente kann er zwar die ganz großen Sprünge nicht mehr machen, aber, ehrlich gesagt, wer wie der Scooterman zur Sicherheit schon jemanden in seiner Nähe braucht, um einfach nur die Hose zu wechseln, der will gar nicht mehr springen. In einer Stunde wird er sich noch eine Dosis Betaferon subkutan spritzen. Und danach wird für den Rest des Tages alles wieder so angenehm egal und überschaubar zwischen den Ohren.

20 Mar 2018

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Knud Kohr

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