taz.de -- Die Linke in den neuen Bundesländern: Ein Plan für den Osten
Linkspartei-Spitzen präsentieren einen Aktionsplan für Ostdeutschland. Ihre Analyse ist gut. Doch im Kernbereich bleiben weiterhin Fragen offen.
Erfurt taz | Damals, als sie noch PDS hieß, da hatte die heutige Linkspartei sicher schon Schlimmeres erlebt als jenes Bundestagswahlergebnis vom September 2017. 2002 zum Beispiel. Da flog sie mit nur 4 Prozent der Wählerstimmen aus dem Bundestag. Nun, fünfzehn Jahre später, blieben ihre Werte zwar stabil – aber das ist vor allem der Stabilisierung im Westen Deutschlands zuzuschreiben.
Bei den ostdeutschen Landesverbänden der Linkspartei sieht das anders aus. Diese sind alarmiert – vom Verlust ihrer Rolle als Kümmererpartei des Ostens. Und vom Erfolg der AfD. Am Wochenende legten nun die ostdeutschen Landes- und Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei in Erfurt einen „Aktionsplan Ost“ vor.
Dem Aktionsplan vorangestellt ist eine beeindruckende Analyse gesellschaftlicher Verschiebungen im globalen Kontext, wie sie so komprimiert derzeit wohl bei keiner anderen Partei zu finden ist. Sie benennt für Deutschland und Europa gültige Ursachen für die um sich greifende Verunsicherung. Zugleich zeigt sie die spezifischen Auswirkungen für den durch die DDR-Vergangenheit und die Wende-Traumata geprägten Osten Deutschlands auf.
Dabei entsteht das Bild eines noch immer gespaltenen Landes. Aus dieser Bestandsaufnahme heraus entwickelt die Linke eine elfseitige Agenda für Ostdeutschland. Mit dem Hinweis auf „Megatrends“ wie Globalisierung und Digitalisierung trifft die Analyse einen wesentlichen Aspekt der Überforderungssituation, die bei vielen AfD-Wählern feststellbar ist.
Altes Sozialstaatsversprechen zieht nicht mehr
Die Autoren der Linken unterscheiden zwischen Modernisierungsbefürwortern und -verweigerern, die sie der Bundestagsmehrheit und der AfD zuordnen. Den ökonomischen und technischen Wandel, den sie nicht grundsätzlich in Zweifel ziehen, müsse die Linke, so heißt es in dem Papier, mit der sozialen Frage verbinden. Modernisierungsverlierer neigten zum Rückzug auf völkisch-nationalistische Identifikationsmuster. Linke solidarische Ansätze hätten dagegen bislang zu wenig Bindungskraft entfaltet.
Bei der Vorstellung des Papiers nannte der Fraktionsvorsitzende im Brandenburger Landtag, Ralf Christoffers, einen weiteren Verunsicherungsgrund. Das alte Sozialstaatsversprechen – „unseren Kindern soll es einmal besser gehen“ – trage nicht mehr. Politiker wagten es auch gar nicht mehr auszusprechen. Abstiegs-, Verlust- und Überforderungsängste aber würden im Osten naturgemäß stärker empfunden.
„Wo Kristallisationspunkte einer lebendigen Zivilgesellschaft, einer solidarischen und demokratischen Alltagskultur schwach ausgeprägt sind, fällt die Verarbeitung tatsächlicher oder vermeintlicher Zumutungen der Modernisierung und vor allem der Zuwanderung besonders schwer.“
Der „Aktionsplan Ost“ ist kein Grundsatzprogramm und übt keine fundamentale Kapitalismuskritik. Insbesondere beim Parteitag der streitlustigen sächsischen Linken Ende 2017 hatten Redner den Wunsch nach einer besseren Erkennbarkeit der Partei geäußert. Orientierungsmangel führe nach Ansicht junger Parteimitglieder zu „Themenfaulheit und bleierner Schwere“, hieß es in Chemnitz. Auch gestandene Mitglieder beobachteten eine gewisse Müdigkeit in den Landtagsfraktionen.
Nicht auf Ostdeutschland beschränkt
Diesen Eindruck vermittelt der sogenannte Aktionsplan nicht. Die aus der Analyse abgeleitete Agenda will nicht weniger als ein pragmatisches „Zukunftsprojekt für Ostdeutschland“. Die Linke bekennt sich darin zu Modernisierungsschwerpunkten wie Breitbandversorgung und Mobilität. Aber sie will auch Enquete-Kommissionen in den Parlamenten zum Thema „Digitalisierung und Zukunft des Sozialstaats“. Ein Einwanderungsgesetz soll mit einem Integrationsschub für Schwerpunktregionen verknüpft werden. Verlangt wird außerdem ein Testprojekt Grundeinkommen wie in Schleswig-Holstein.
Neben dem Zukunftsprojekt werden Reparaturen und Korrekturen angestrebt, die nicht auf Ostdeutschland beschränkt sind. Rentenarmut, Kommunalfinanzen oder die Digitalisierung und personelle Absicherung des Schulunterrichts sind gesamtdeutsche Themen. Bei Löhnen und Tarifbindung, Wirtschaftskraft und Steuerdeckungsquote der öffentlichen Ausgaben hinkt der Osten nach wie vor weit hinterher.
Die Linke will die Unterrepräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen angehen und ihre Lebensleistungen würdigen. Dazu gehört aus ihrer Sicht auch ein Perspektivwechsel auf das Leben vor 1989 ebenso wie eine gründliche Aufarbeitung des während der Privatisierungswelle nach 1990 insbesondere von der Treuhand begangenen Unrechts.
Zur Durchsetzung dieser Ziele halten die Fraktions- und Landesvorsitzenden die Regierungsbeteiligungen in Berlin und Brandenburg und insbesondere die Regierungsführung in Thüringen für wesentlich.
Marx-Renaissance
Eine Frage, die auf dem sächsischen Landesparteitag zu einer Zerreißprobe führte, wird in der Ost-Agenda allerdings nicht erwähnt. Und das ist eine zentrale Frage: Das wachsende Stadt-Land-Gefälle ist im eher klein- und mittelstädtisch strukturierten Thüringen kein akutes Thema, obschon die Partei auch hier auf dem „flachen Land“ deutlich verlor. In Sachsen-Anhalt und besonders in Sachsen aber spiegeln sich die unterschiedlichen Lebensverhältnisse auch in deutlicher AfD-Dominanz jenseits der Städte.
Entwickelt sich die Linke also zu einer elitären Intellektuellenpartei der Großstädte, während sie auf dem Land in die Diaspora gedrängt wird? Die Hochburg Leipzig mit dem Landtags-Direktmandat für Juliane Nagel scheint diese These zu rechtfertigen. Wie aber erreicht man dann die sich unverstanden und abgehängt Fühlenden, die von der großen Befürchtungswelle getrieben werden? Auf diese zentrale Frage haben die wenigsten konkrete Antworten.
Sachsen-Anhalts Landesvorsitzender Andreas Höppner etwa glaubt an „Personen, die ein Sicherheitsgefühl vermitteln können“. Der Aktionsplan Ost spricht in dieser Hinsicht nur sehr theoretisch von einer „neuen Art demokratischer Politik“, die letztlich auf politische Bildung hinausläuft. Mediation könne die immer schmerzlicher vermissten Konsense in unserer Gesellschaft stiften.
Wie man den verbreiteten Entwurzelungs- und Desorientierungserscheinungen in Ostdeutschland positiv und zuversichtlich begegnen kann, bleibt also Einzelkämpfern vor Ort überlassen. Stattdessen wird das „theoretische und analytische Hinterland unserer Politik“ im Papier zur Beschäftigung empfohlen. Welcher Ultralinke es auch hineingeschrieben haben mag – staunend liest man da also von der – na? –„Marx-Renaissance“.
19 Feb 2018
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