taz.de -- Mahnmal am Berliner Breitscheidplatz: Das Leben auf dem Riss

Es ist ein Denkmal, das sich in die Stadt einfügt, behutsam, aber dennoch nachdrücklich: Zum Jahrestag des Attentats wird am Dienstag das Mahnmal eingeweiht.
Bild: Ein Jahr lang war das Gedenken der Opfer des Terroranschlags am Breitscheidplatz vor allem provisorisch, jetzt gibt es offizielles Mahnmal

BERLIN taz | Bislang war die Gedenkstätte am Breitscheidplatz ein Provisorium: eine Ansammlung von Kerzen, Blumen, bemalten Holzschildern und Stofftieren, spontan von Angehörigen, Anwohnern und Passanten zusammengestellt und der Witterung ausgesetzt. Immer wieder kamen und kommen Objekte neu hinzu. Die Anteilnahme der Menschen ist nach wie vor groß und wahrscheinlich wird es noch eine ganze Weile dauern, bis diese abnimmt und auch die äußeren Zeichen weniger werden, weniger Blumen abgelegt, weniger Kerzen angezündet werden, aber geschehen wird das. Das offizielle Denkmal, das nun zum Jahrestag eingeweiht wird, soll dann die Zeit überdauern.

Ab Dienstag wird ein goldener Riss über den Platz neben der Gedächtniskirche führen. 14 Meter ist er lang, etwa drei Zentimeter breit, gefüllt mit einer Kupfer-Zinn-Legierung, der etwas Gold beigemischt wurde. Daneben an den Stufen zur Kirche wird eine Inschrift mit Betonbuchstaben zu lesen sein: „Zur Erinnerung an die Opfer des Terroranschlags am 19. Dezember 2016. Für ein friedliches Miteinander aller Menschen“, dazu die Namen aller Toten und deren Herkunftsländer.

Der Entwurf stammt vom Designbüro MM+. In einem Wettbewerb hatte sich dieser durchgesetzt. Es ist ein leises Denkmal, keine Skulptur, die sich einem in den Weg stellt, kein Monument. Es sind keine Wasserfälle wie am Ground Zero, ist kein Stelenfeld wie in London, kein Wald wie in Madrid, keine Bronzeskulptur wie in Brüssel, kein Brunnen wie in Nizza. Wer nicht nach unten sieht, wird es vielleicht gar nicht wahrnehmen, ähnlich wie das bei den Stolpersteinen der Fall ist, die sich trotz ihrer glänzenden Oberfläche so dezent ins Pflaster fügen, dass sie nicht weiter auffallen, bis man doch wieder über einen von ihnen „stolpert“. Auch am Breitscheidplatz wird das Leben auf dem Riss stattfinden, Menschen werden darüber hinweggehen. Es ist ein Denkmal, das sich in die Stadt einfügt, behutsam, aber dennoch nachdrücklich; es nimmt dem Platz keinen Raum, vielmehr gibt es ihm etwas dazu, eine neue Bedeutung.

Der Riss, die Verletzung, die zu einer Narbe verheilt, die dennoch deutlich sichtbar bleibt, ist ein treffendes Bild für das, was geschehen ist. Es steht für die Spaltung in der Gesellschaft, die es zu überwinden gilt, für die Verwundbarkeit der Welt, in der wir leben und mit der wir leben müssen.

Kein Denkmal, das Ängste schürt

Der Anschlag fordere die Offenheit und Toleranz der Gesellschaft heraus, schreiben MM+ über das Projekt. Der Riss durch den Breitscheidplatz verankere die Wunde des 19. Dezember 2016 dauerhaft und sichtbar im Stadtbild. Die Inschrift nehme durch ihre Fragmentierung das Wesen des Risses auf. Sie symbolisiere gleichzeitig Einschnitt und Fortführung, Bruch und Ganzheit.

So ist das Denkmal auch keines das Ängste schürt, anders als die Betonblöcke, die mittlerweile öffentliche Veranstaltungen aller Art schützen und auf die Allgegenwart der Gefahr eines Anschlags hinweisen. Der Riss giert nicht nach größtmöglichem Effekt, sondern sendet vielmehr eine Botschaft der Versöhnlichkeit aus, die offenbar auch den Vorstellungen der Hinterbliebenen entsprach, die zur Juryentscheidung zu Rate gezogen wurden. Wichtig war diesen außerdem, dass die Verstorbenen namentlich genannt würden, jeder einzelne von ihnen, damit endlich auch die Opfer und nicht immer nur der Täter Aufmerksamkeit erhalten.

Dementsprechend werden Opfer und Angehörige auch am Jahrestag im Fokus stehen. Die Gedenkveranstaltungen am Vormittag, an denen unter anderem Hinterbliebene ein letztes Stück des Risses mit der Metalllegierung füllen werden, finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Erst ab 14 Uhr, wenn die AG City e. V., der Schaustellerverband Berlin e. V. und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnisgemeinde zur Mahnwache und zum gemeinsamen Gedenken einladen, sind auch Bürger*innen willkommen.

Und ab dann jeden Tag, jederzeit, denn letztlich wird es darauf ankommen, was die Menschen aus dem Mahnmal machen, ob sie es als Angebot zum Innehalten annehmen. Kollektives Gedenken lebt von aktiver Teilhabe, ob mit Kerzen oder ohne.

19 Dec 2017

AUTOREN

Beate Scheder

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