taz.de -- Frankfurter „Tatort“: Ein schauderhafter Schauder
Der Tatort „Fürchte Dich“ umkreist ein altes Haus in Kahlberg. Ist der Provinzhorror eine Persiflage oder eine ernst gemeinte Genreübung?
Es stürmt und gewittert und regnet in jener Nacht. Fanny, die Hausbesitzerin, bei der Kommissar Brix wohnt, schleicht sich die Treppe runter, tastet nach dem Lichtschalter, die Verandatür ist offen, die Vorhänge bauschen sich. Ein alter Mann im Schlafanzug steht da, überschüttet sich mit Benzin, holt sein Feuerzeug raus, doch ein Luftstoß bläst es aus, Herbstlaub überall. Bis von hinten langsam zwei behandschuhte Hände den Alten an der Gurgel greifen und er nach draußen gezogen wird. Da liegt er dann, im Gras, Regen prasselt auf ihn nieder, bis Brix neben ihm kniet. Dazu eine Geräuschkulisse aus ewigem Türenknarzen, Krähengeschrei, Baumächzen.
Dass die „Tatort“-Redaktion des Hessischen Rundfunks sich mit Genrespielen auskennt, zeigt sich in jeder einzelnen Folge mit Ulrich Tukur. Dieses Mal trifft es allerdings das Frankfurter Duo Brix (Wolfram Koch) und Janneke (Margarita Broich) – und zwar mit einer vollen Ladung Horror. Genauer gesagt: 24 Stunden Provinzhorror.
„Fürchte Dich“ umkreist das alte Haus in Kahlberg, in dem Brix und Fanny (Zazie de Paris) wohnen. Und in dem auf einmal Kinderskelette auf dem Dachboden auftauchen und Geister ihr Unwesen treiben, darunter die tote Familie des Alten, der in jenem ehemaligen Waisenhaus groß geworden ist. Bis die Enkelin vor der Tür steht, überzeugt, verflucht zu sein, und der Opa ermordet im Krankenhausbett liegt. Und sich alle fragen, was zur Hölle hier eigentlich los ist.
Was damals mit der Edgar-Wallace-Hommage in der Tukur-Folge „Das Dorf“ grandios gelungen ist, geht hier grandios schief. Das Buch von Christian Mackrodt und Andy Fetscher ebenso wie Fetschers Regiansatz können sich nicht entscheiden, ob das Schauerstück eine Persiflage oder eine ernst gemeinte Genreübung sein soll. Für Ersteres fehlt die Selbstironie – und Letzteres scheidet eh aus. Selbst Koch und Broich wirken die ganze Zeit, als wüssten sie nicht recht, was sie da tun.
Und das Schlimmste: Kein Horrorfilmelement wird ausgelassen. Fanny gehen auf einmal die Haare in Büscheln aus, ihre Hände färben sich blutrot. Janneke greift mit weit geöffnetem Mund ins Leere, dazu Roboterstimmen, Zeitlupe, ins Schräge gekippte Perspektiven und ein Sirren, das zum Zahnschmerzton wird.
Ehrlich, dann doch gleich den Horrorklassiker „Carrie“.
29 Oct 2017
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