taz.de -- Verdeckte Ermittlerin bald vor Gericht: Spitzelin verklagt Bespitzelte
An der Roten Flora prangten die Gesichter verdeckter ErmittlerInnen. Eine Beamtin fühlt sich nun in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt.
Hamburg taz | Es könnte ein emotionales Wiedersehen werden: Am Donnerstag, 22. Juni, treffen die ehemalige verdeckte Ermittlerin Astrid O. und die von ihr Ausspionierten vor Gericht aufeinander. Es ist nicht der erste Fall verdeckter Ermittlungen, der vor Gericht verhandelt wird, aber dieses Mal ist alles anders: Nicht die Überwachten haben Klage eingereicht, sondern eine Überwacherin selbst. Astrid O. fühlt sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt.
AktivistInnen hatten im August 2016 die Konterfeis von vier enttarnten ErmittlerInnen mitsamt ihrer Namen an die Fassade des linksautonomen Zentrums Rote Flora gepinselt. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatte die Polizei sie übermalt. Zwei der abgebildeten Beamtinnen stellten Strafanzeige: Maria B. und Astrid O. Maria B. hat ihre Anzeige zurückgezogen, wie aus der Akte hervorgeht. Astrid O. hielt an der Strafanzeige gegen Flora-Aktivist Andreas Blechschmidt fest. Die Staatsanwaltschaft hat nun Klage erhoben, wegen Verstoßes gegen das Kunst- und Urhebergesetz.
Aber auch der Angeklagte scheut den Rechtsstreit nicht – im Gegenteil. Blechschmidt bedankt sich bei der Polizei. „Eine bessere Möglichkeit, das Thema öffentlich zu problematisieren, kann man sich gar nicht wünschen“, sagte er. Die Fälle verdeckter Ermittlungen seien nur sehr unbefriedigend aufgeklärt worden. Bei den Betroffenen bleiben viele Fragen, zum Beispiel, warum gerade sie in den Fokus der Ermittlungen gerieten, was der Staat alles über sie weiß und wie lange die Daten gespeichert werden.
Die eventuelle Persönlichkeitsverletzung der Polizistin stehe in keinem Verhältnis. „Wer, wie die Hamburger Polizei, über Jahre hinweg dafür sorgt, dass seine BeamtInnen uns hintergehen, muss damit rechnen, dass mit Personalien gearbeitet wird.“
Die Klage gegen ihn hat für Blechschmidt realsatirische Züge. Zwei der vier Fälle, die bereits aufgedeckt wurden, haben Gerichte für rechtswidrig erklärt. Allerdings ohne Folgen für die Beamtinnen. „Dass ich nun angeklagt wurde, als einer, der mutmaßlich sechs Jahre lang rechtswidrig ausgespäht wurde – zynischer geht’s nicht“, sagte Blechschmidt.
Die AktivistInnen rufen auf, zum Prozess zu kommen – seit Dienstag mit einem neuen Flora-Plakat. Unbekannte rissen bereits Teile ab. In einem Aufruf schreiben die AktivistInnen an die Ermittlerin O. gewandt: „Endlich sehen wir dich wieder, wie geil ist das denn? Eine ganz ganz heiße, zärtliche Umarmung ist dir gewiss, sofern du das möchtest, aber da sind wir uns eigentlich sicher. Astrid, wir sehn uns!“
15 Jun 2017
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die ehemalige verdeckte Ermittlerin Astrid O. zieht ihren Strafantrag zurück. Damit ist der Prozess gegen einen Aktivisten der Roten Flora abgesagt.
Die Polizei Hannover hat das Unabhängige Jugendzentrum Kornstraße observiert. Dessen Unterstützer halten das für rechtswidrig und haben geklagt.
Verdeckte Ermittler*innen in der linken Szene: Die Doku „Im inneren Kreis“ fragt nach den Gründen und Grenzen der Überwachung.
Die Hamburger Polizei gesteht die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Einsatzes der verdeckten Ermittlerin Maria B. ein – um eine Aufklärung zu unterbinden
Seit Jahren kämpft Jason Kirkpatrick um Aufklärung: Was wollte der Ermittler in seinem Haus? Jetzt zieht er vor Gericht.
Ein Filmteam arbeitet an einer Doku über verdeckte ErmittlerInnen in der linken Szene. Verantwortliche vor die Kamera zu kriegen, ist schwer, sagt der Regisseur.
Die Hamburger Polizei hat Gesichter von enttarnten ErmittlerInnen an der Roten Flora übermalt. Zu Recht? Ein Pro und Contra.
Die Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes über den verdeckten Einsatz von Astrid O. in der Hamburger linken Szene.
In Hamburgs linker Szene ist die dritte Polizeispitzelin in eineinhalb Jahren aufgeflogen. Was rechtfertigt eigentlich diesen Aufwand?
Die Polizei verteidigt ihren Einsatz beim Radio FSK. Gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts will sie den presserechtlichen Schutz aushebeln.