taz.de -- Kommentar Rot-Rot-Grün in Thüringen: Chamäleons und Charakter

In Thüringen lässt die Abgeordnete Rosin mit ihrem Eintritt in die CDU die knappe rot-rot-grüne Koalitionsmehrheit schrumpfen.
Bild: Von der SPD zur CDU: Marion Rosin

Politische Chamäleons wecken beim Beobachter immer wieder Nachdenklichkeit über menschliche Abgründe und Wandlungen. Wen kennt man schon wirklich? Ein Horst Mahler beispielsweise marschierte von der RAF bis zum äußersten rechten Rand. In den Parlamenten lösen Deserteure bei den Verlassenen Irritation und Betroffenheit, bei den Beglückten hämisches Grinsen aus.

In Thüringen betont Ministerpräsident Bodo Ramelow nach dem Wechsel der Bildungspolitikerin Marion Rosin von der SPD zur CDU die fest stehende RRG-Koalition, während Unionsabgeordnete deren Ende nahen sehen.

Weniger erfreut sind in der Regel die Wähler. Sie haben zumindest mit ihrer Erststimme Vertrauen in die Haltung eines konkreten Abgeordneten gesetzt. Diese berechtigten Erwartungen kollidieren mit dem Grundsatz der freien Mandatsausübung und der alleinigen Gewissensverpflichtung der Gewählten. Für Meinungswandel und politische Heimatflucht hat Bürger Jedermann wenig Verständnis und erwartet dann eher eine Mandatsniederlegung.

In Thüringen droht mit dem Seitenwechsel von Frau Rosin keine akute Gefahr für das erste Dreierbündnis unter linker Führung. Wiederhergestellt worden ist damit nur die knappe Ein-Stimmen-Mehrheit, mit der die Koalition im Herbst 2014 antrat. Vergessen scheint, dass erst der Übertritt des AfD-Abgeordneten Oskar Helmerich zur SPD zwischenzeitlich diese Mehrheit etwas komfortabler gestaltete. Knappe Mehrheiten bergen nicht nur Risiken, sondern können bekanntlich auch disziplinierend wirken.

Der mit angeblich linker Indoktrination und Fehlern in der Bildungspolitik begründete Wechsel kommt zu einer Zeit, da die Schulpolitik eigentlich im Schatten des Generalthemas Gebietsreform in Thüringen steht. Wegen der langen Krankheit von Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) führt außerdem Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff das Ressort und sorgte für mehr Ruhe. Nun scheint plötzlich ein neues altes Konfliktfeld wieder aufgerissen.

26 Apr 2017

AUTOREN

Michael Bartsch

TAGS

Schwerpunkt Thüringen
Thüringer Landtag
Sozialdemokratie
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Schwerpunkt AfD
R2G Berlin
R2G Berlin
Die Linke

ARTIKEL ZUM THEMA

Dämpfer für Mitte-Links-Koalition: Letzte Lebenszeichen von R2G?

Bei der SPD liegen die Nerven blank. Treffen mit der Linken sollen am besten unterbleiben. Das „jährliche r2g-Sommerfest“ findet trotzdem statt.

Streit um Kreisreform in Thüringen: Der Städtekampf

Die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen hat sich mit ihrer Gebietsreform ein Großvorhaben vorgenommen. Und stößt auf teils erbitterten Widerstand.

Debatte R2G in Deutschland: Der Drillings-Fehler

Die rot-rot-grüne Option leidet unter einem chronischen Spielverderber-Vorwurf: SPD, Grüne und Linke wollen sich gegenseitig Ähnlichkeit aufzwingen.

R2G in Thüringen: Regeln für eine glückliche Beziehung

In Thüringen regieren SPD, Linke und Grüne seit zwei Jahren. Die PolitikerInnen sind selbst erstaunt, wie gut es klappt. Geht das auch im Bund?

Thüringens Ministerpräsident Ramelow: Nazivergleich verstimmt Linke

Antifaschisten wollen vor dem Wohnhaus von Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke demonstrieren. Ministerpräsident Bodo Ramelow ist dagegen.