taz.de -- Kommentar Macrons Wahlprogramm: Emmanuel der Kühne
Das Wahlprogramm des Präsidentschaftskandidaten Macron überrascht nur in einem Punkt: Er will ein neues französisches Sozialversicherungssystem.
Nichts Umwerfendes steht [1][im Programm von Emmanuel Macron], der beste Aussichten hat, Frankreichs neuer Präsident zu werden: Ein wenig sozialer Ausgleich und Förderung der bisher auf dem Arbeitsmarkt Diskriminierten, die Aussicht auf mehr Kaufkraft für die Berufstätigen, eine weitere Liberalisierung der Wirtschaft mit Reformen, wie sie in den Nachbarländern längst beschlossen und umgesetzt wurden.
Für die Skeptiker – und die sind so zahlreich wie seine Fans – gibt es in dieser wahlpolitischen Gemischtwarenhandlung Produkte von links und rechts, Sozialwirtschaftliches und Neoliberales. Jeder kann Erfreuliches und Störendes finden.
In einem Punkt aber überrascht Macron durch seine Kühnheit: Er will das französische Sozialversicherungssystem von Grund auf neu organisieren. Das ist allein schon deshalb mutig, weil sich die letzten Staatschefs und ihre Regierungen schon bei bescheidenen Teilrevisionen regelmäßig die Zähne ausgebissen haben. Denn wer an dieser wichtigsten sozialen Errungenschaft aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auch nur Retuschen anbringen will -und sei es aus besten Absichten- , wird sogleich des Kapitalverbrechens gegen das Sozialmodell bezichtigt.
Macron hat Vorschläge gemacht, wie man dieses schwerfällig, ineffizient und ungerecht gewordene Monster der „Sécu“ (Altersrente, Invaliditäts-, Kranken- und Berufsunfallversicherung plus Familienzulagen) mit seinen unzähligen separaten Kassen und unterschiedlichen Konditionen für private und öffentliche Arbeitnehmer vereinfachen könnte, es flexibler und für jeden Versicherten durchschaubarer gestalten könnte.
Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Reform ist, dass sie als Gesamtpaket und nicht häppchenweise angepackt wird, damit Jeder und Jede eine transparente Netto-Bilanz ziehen und die Vor- und Nachteile unter dem Strich abwägen kann. Dass Zögerlichkeit sich nicht auszahlt, scheint Macron aus seiner Zeit als Minister von François Hollande gelernt zu haben.
3 Mar 2017
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Jean-Luc Mélenchon steht für die unbeugsame Linke, die Klassenkampf und Populismus vereint. Im Wahlkampf sind die Aussichten aber nicht rosig
Alain Juppé möchte nicht als Fillon-Ersatz einspringen. Wer also wird beim ersten Durchgang der Wahl das konservative Lager vertreten?
Razzia mitten im Wahlkampf um das höchste Staatsamt: Der konservative Kandidat François Fillon soll Angehörige mit Staatsgeld finanziert haben.
Der aussichtsreiche Kandidat stellt sein Wahlprogramm vor. Bisher war er wiederholt für sein politisch unverbindliches Auftreten kritisiert worden.
Oh làlà, das gab's seit 40 Jahren nicht mehr: Frankreichs Grüne unterstützen den Sozialisten Hamon. Ihr eigener Kandidat war zu unbeliebt.
François Bayrou versucht sich als Königsmacher und unterstützt Präsidentschaftskandidat Macron. Der wird so sogar für Rechte akzeptabel.
Er zeigt ein bisschen Reue, aufgeben will der Konservative François Fillon aber nicht. In den Umfragen liegt er nur noch an dritter Stelle.