taz.de -- Kolumne Pressschlag: Ode an die Querlatte
Braucht der Fußball neue Regeln? Klar. Das Spiel hat sich eh dauernd gewandelt. Wäre es anders, hätten Tore immer noch keine Querlatte.
In dieser Woche hat sich unser wunderbar [1][eigenwilliger Ex-Kolumnist Yves Eigenrauch] in dieser Zeitung als Fußballkonservativer geoutet. Wenn sich etwas im Fußball ändern müsse, dann nicht das Regelwerk, sondern die Werte. Standesehre, Fairness, Aufrichtigkeit bedürfen viel eher einer Generalüberholung als die Spielregeln. Eine Abschaffung der Abseitsregel oder Zeitstrafen als Alternative zur Gelben Karte? Muss nicht sein. Den Reformvorschlägen des Marco van Basten erteilte Eigenrauch eine Absage.
Das kann man auch anders sehen, denn entgegen der weitläufigen Meinung, die Fußballregeln seien in Stein gemeißelt und würden ewigen Bestandsschutz genießen, ist nicht nur das Regelwerk flexibel, sondern vor allem das Umfeld, in dem sich Fußball präsentiert. Dazu gehören auch die Ansichten der Fans über Fußball. Ihnen ist eigentlich (fast) alles zuzumuten, wie die Vergangenheit lehrt. Der Wandel darf sich nur nicht hopplahopp vollziehen.
Fußball ist eh von ständigen Innovationen begleitet. Sie verlaufen grundsätzlich auf drei Ebenen: der regeltechnischen, der wirtschaftlichen und der taktischen. Die Innovationskraft ist unterschiedlich stark ausgeprägt, am schwächsten ist sie auf dem Feld der Spielregeln, am stärksten auf der ökonomischen Seite.
Wir haben es hier meist mit einem Kontinuum an Veränderung zu tun. Oder anders gesagt: Wachsen der Umsatz und die Marketingeinnahmen, dann muss sich im Paragrafenwald wenig tun. Stagniert aber das Wachstum oder ist der Fußball an einem Punkt angelangt, an dem Übersättigung herrscht und die vierte Werbebande im Stadion schlichtweg nicht mehr vermittelbar ist, dann greifen sich die Fußballvermarkter das Regelwerk. Diese Marke ist gerade erreicht, nicht zuletzt durch die Aufstockung des WM-Feldes auf 48 Mannschaften.
Der Fußball sucht nach neuen Möglichkeiten, sich noch interessanter zu machen und damit weiter exponentiell zu wachsen. Das heißt: Folgt man den Regeln des Marktes, dann müssen die Fußballregeln künftig zwingend verändert werden. Dieser Prozess der moderaten Anpassung läuft ohnehin schon wie geschmiert: Das Adlerauge überwacht seit drei Jahren den ins Tor rollenden Ball, künftig kommt der Videobeweis dazu. Seit 1995 dürfen drei Spieler eingewechselt werden. Seit dem Vorjahr gibt es keine Dreifachbestrafung (Rote Karte, Elfmeter und Sperre) mehr bei einer Notbremse im Strafraum.
Auch die Abseitsregel wurde viel häufiger umgemodelt, als man annimmt. Mit der ersten offiziellen Regel von 1863 waren nur Pässe nach hinten erlaubt. Von 1866 bis 1925 war es kein Abseits, wenn mindestens drei verteidigende Spieler zwischen der Torlinie und dem Angreifer positioniert waren. Seit 1907 ist Abseits in der eigenen Spielfeldhälfte nicht mehr möglich. Bei Abstoß und Eckstoß gab es nun kein Abseits, bei einem Einwurf dagegen schon. 1920 wurde auch für den Einwurf die Abseitsregel aufgehoben. Seit 1990 ist „gleiche Höhe“ kein Abseits mehr.
Neue Regeln werden kommen, das ist so sicher wie der nächste Bayern-Sieg. Warum auch nicht! Sie machen das Spiel spannender, wie ein Beispiel aus dem Jahre 1875 zeigt: Tore mussten seitdem eine Querlatte haben. Keine schlechte Idee.
3 Mar 2017
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