taz.de -- Deutscher ESC-Vorentscheid: Levina für Kiew

Dieses Mal gewinnt eine angehende Musikmanagerin die deutsche ESC-Vorentscheidung : Levina mit dem Titel „Perfect Life“.
Bild: Das ist Levina. Auch bekannt als Isabella Lueen

Köln taz | So geht eben der ESC, auch und vielleicht gerade in seinen Vorentscheidungen: Gewinnen kann nur, wer das Moment des Auftritts genießt und mit Konkurrenz im Nacken stärker denn je wird.

So erging es der in London und Berlin lebenden Musikerin Levina, angehende Musikmanagerin. Ihre akademischen Mühen wird sie nun einige Monate auf Eis legen müssen, denn sie siegte haushoch im deutschen ESC-Vorentscheid, den die ARD in Köln unter dem Titel „Unser Song 2017“ in jenen Studios ausrichtete, die bis vor kurzem noch von Stefan Raab belebt wurden, ehe er sich vom TV-Geschäft verabschiedete.

Fünf Personen waren in internen Auswahlverfahren aus einer Riege von 2.000 Kandidaten ausgesucht worden: Helene Nissen, Yosefin und Felicia schieden in der ersten Runde aus, ihre Lieder überzeugten die Televoter nicht, selbst ausgesuchte Coversongs, u.a. eines von Johnny Cash.

Die Jury – Florian Silbereisen, ziemlich freundlich und kompetent, ESC-2010-Siegerin Lena Meyer-Landrut, sehr herzlich und zugewandt, sowie Tim Bendzko (ewiger Pop-Weltretter), zu dem ein ESC-Fan während der Show twitternd fragte, wo man anrufen müsse, um ihn wegzuwählen – ließ sehr deutlich durchscheinen, dass sie Levina antörnend fand, prima, super, mitreißend.

Ob das den anderen Kandidaten gut tat zu hören, dass da eine schon immer in den Urteilen vorne liegt, darf bezweifelt werden.

69 Prozent für „Perfect Life“

In der Runde der letzten zwei Sänger*innen war schließlich der Hamburger Lehrer und Straßenmusiker Axel – und eben Levina. Was beide unterschied, war vor allem dies: Die Sängerin wirkte mit jeder Minute in ihren Liedern selbstvertrauter, der Sänger, ihr Konkurrent hingegen, schien immer steifer zu werden. Er war leicht favorisiert, sie nicht so sehr: Sie nutzte aschenputtelig ihre Chance stimmsicher, er fiel von seinem prinzlichen Pferd: Das televotende Publikum kann hart sein.

Vor dem Finale stand somit fest, dass Levina im Mai nach Kiew reisen würde, schließlich ging es nur noch darum, mit welchem Lied sie das tun wird: „Perfect Life“, ein leicht angerockter Titel, oder „Wildfire“, ein eher trägeres Stück – beide aus amerikanisch-internationaler Popproduktion.

Der härtere Titel gewann, was auch deshalb klug war, weil in Kiew nach jetzigem Stand sehr viele pompöse Balladen zur Performance kommen: Frauen, die etwas rougher singen, haben schon der Unterscheidbarkeit wegen bessere Chancen. 69 Prozent erhielt „Perfect Life“ am Ende, eindeutig.

„Fuchs, du hast die Gans gestohlen“

Die Show selbst war angenehm ausführlich, mit fast 20 Minuten Überziehung gar. Moderatorin Barbara Schöneberger war in prima Form, ihr bester Scherz war der zum Auftakt, als sie am Beispiel des Volksliedes „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ die verschiedenen Arten, ESC-Lieder zu singen, demonstrierte. Dass es auch das Lied war, an dem sich im hessischen Limburg ein Streit entzündete, bei dem eine Veganerin sich daran störte, dass dieses Lied schwerst tierfeindlich sei und deshalb nicht durch das Glockenspiel des Rathauses intoniert werden dürfe, war wie ein hübscher Kommentar zum Irrsinn moralischer Überkorrektheit in dieser Zeit.

Dass Conchita Wurst in einem Interval Act – Televoting-Überbrückungszeit – Lena Meyer-Landruts „Satellite“ zu einem pompösen Drama entfaltete und außerdem auch noch männlicher denn je ausseh, verlieh der Show noch einen Moment mehr Freundlichkeit. Ruslana und Nicole standen ihr zur Seite – und es mag versöhnlich klingen, aber Nicole, die 1982 mit „Ein bisschen Frieden“ den ESC gewann, coverte „Merci Chérie“ von Udo Jürgens und sah in ihrem Patricia-Kaas-Look besser denn je aus.

Levina, die eine ziemlich rauchige Barstimme beim Sprechen hat, wurde gefragt, ob sie zufrieden sei mit der Wahl des Liedes: „Ja, ‚Perfect Life‘ ist besser, weil das Publikum mehr mitgehen kann.“ Im Mai muss sie in Kiew nicht viel erreichen. Nur Letzter werden, das soll sie nicht – das ist deutschen Interpretinnen ja schon in den vergangenen zwei Jahren widerfahren.

10 Feb 2017

AUTOREN

Jan Feddersen

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