taz.de -- Anschlag auf Weihnachtsmarkt in Berlin: Das World Wide Web trauert mit
In den sozialen Medien zeigen sich Trauer, Wut und Besonnenheit als Reaktion auf die Tat am Breitscheidplatz.
Berlin taz | Weder Tathergang, Täter, noch Hintergrund des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz sind eindeutig geklärt. Und dennoch häufen sich auf Twitter und Facebook die Debatten. Sie drehen sich um Ängste, Sicherheit, Trauer und politische Konsequenzen.
In den ersten Stunden nach dem Anschlag diente das Internet vor allem als Informationskanal: Über die Twitter-Kanäle der Berliner Polizei wurden minütlich neuste Erkenntnisse geteilt – und gleichzeitig wurde zur Besonnenheit aufgerufen. Die Aufforderung, zum Schutz der Opfer und Angehörigen keine Videos und Fotos vom Tatort hochzuladen, ist bis heute der am häufigsten rezipierte Hinweis der Behörden. Stattdessen richtete das Bundeskriminalamt eine Datenbank ein, an die Hinweise übermittelt werden können.
Seit der Nacht zum Dienstag dienen die sozialen Medien auch als Ort der Trauer. Weltweit nehmen Nutzer*innen Anteil und drücken ihr Beileid aus. Unter den Hashtags [1][#ichbineinberliner], [2][#prayforberlin] und [3][#berlinbestrong] werden Fotos vom Brandenburger Tor, Zitate und Solidaritätsbekundungen gepostet. Parolen wie „Berlin, wir sind bei Dir“ sollen der Bevölkerung Kraft geben.
Doch nicht nur Trauer und Verarbeitung finden sich im Netz. Soziale Medien werden – wie häufig nach vergleichbaren Ereignissen – von rechten Gruppierungen als Agitationsplattformen instrumentalisiert. Viele Beiträge sind durchsetzt von rassistischer Diskriminierung und spekulativer Polemik. Andere knüpfen die Vorfälle an politische Forderungen: Unter [4][#merkelmussweg] und [5][#merkeltstote] sammeln sich Beiträge, die die Tat in Berlin direkt mit der Geflüchtetenpolitik der Kanzlerin in Verbindung bringen.
Viel Polemik – aber noch mehr Besonnenheit
Im Wust der populistischen Posts und Falschmeldungen kann sich eine Stimme jedoch behaupten: die, die für eine angstfreie und offene Zivilgesellschaft steht. Der Post des Comiczeichners Ralph Ruthe, der unter dem Hashtag [6][#breitscheidplatz] dazu aufrief, keine übereilten Schlüsse zu ziehen, mahnt zu Rationalität: „Wer nicht schuld ist [7][#Breitscheidplatz]: Merkel, Flüchtlinge, die Gutmenschen. Wer schuld ist: der, der den LKW fuhr.“ Das bekam auf Twitter 11.524 „Likes“ – so viel wie kein anderer. Auf Facebook waren es fast 120.000 „Gefällt mir“-Angaben.
Zwei weitere Hashtags, die im Kontext des Anschlags immer wieder geteilt werden, sind [8][#maximal #unbeeindruckt]. Sie spiegeln eine Haltung des Trotzes wider, ähnlich wie nach den Anschlägen in Paris, als die Menschen die Pariser Cafés füllten und ausdrückten, dass sie nicht bereit seien, sich einzuschränken.
So stehen die Hashtags [9][#maximal #unbeeindruckt] für eine Botschaft, an die Menschen, die hinter dem Anschlag stehen: Wir erwidern euren Hass nicht!
Auch praktizierende Muslim*innen positionieren sich nach den Vorfällen vom Montag im Netz: „Mein Name ist Malik Riaz, ich habe pakistanische Wurzeln und bin Muslim. Ich hasse Terror, 1,5 Mrd. Muslime auch.“ Solche und andere Erklärungen aus der muslimischen Gemeinschaft bilden wichtige Statements, die sich von Hass und Terror distanzieren und sich gegen die islamophobe Stimmung in der westlichen Welt wehren.
21 Dec 2016
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Seit Mittwochabend fahnden die Ermittler europaweit öffentlich nach dem Verdächtigen Anis Amri, einem Tunesier. Vieles ist noch unklar.
Der Europäische Gerichtshof hat die Datenspeicherung für die deutsche Bevölkerung abgewehrt. Gut so. Kommt sie jetzt für „Gefährder“?
Die Stadt sucht die Balance zwischen Ausnahmezustand und Normalität. Am Breitscheidplatz wird gesungen und getrauert.
Die EU-Kommission schlägt Verbesserungen zum Schutz der Außengrenzen vor. Auch die Terrorfinanzierung soll schwerer werden. Das sei schon lange geplant gewesen.
Die weltweite Berichterstattung zum Attentat auf dem Breitscheidplatz reicht von Anteilnahme über Hysterie bis zu besonnener Übersichtlichkeit. Ein Überblick.
Nach dem Anschlag in Berlin werden bundesweit Menschen für Zusammenhalt auf die Straße gehen. Auch die AfD und Rechte wollen protestieren.
Notfallpsychologin Ria Uhle erklärt, wie Eltern ihre Kinder vor dem Terror schützen, ihnen die Angst vor weiteren Anschlägen nehmen.