taz.de -- Das war die Woche in Berlin II: Abschreckung kostet nur Geld

Mehr und mehr Klagen von Asylbewerbern erreichen das Berliner Verwaltungsgericht, viele sind erfolgreich. Aber bis dahin müssen die Kläger lange warten.
Bild: Beim Verwaltungsgericht landen viele Klagen abgelehnter Asylbewerber

Gerichtssäle sind ein Spiegel der Gesellschaft – und oft genug müssen Richter ausputzen, was schlechte Politik und Verwaltungen verbockt haben. Mangelhafte Hartz-IV-Bescheide etwa sind seit Jahren das täglich Brot an Berlins Sozialgericht. Auch Asylbewerber haben sich im letzten Jahr vermehrt an dieses Gericht gewandt, weil jene Behörde, die bis vor Kurzem Lageso hieß, ihnen gesetzlich zustehende Leistungen vorenthielt. Nun wurde am Dienstag bekannt, dass am Verwaltungsgericht die Zahl der Klagen gegen Asylentscheidungen gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 150 Prozent zugenommen hat.

Die nackten Zahlen lassen gern vergessen, dass es um menschliche Schicksale geht, in diesem Fall um gut 5.000 Asylbewerber vorwiegend aus Syrien und Afghanistan. Weil die Politik die Zahl der Flüchtlinge senken will, ist die Anerkennungsquote bei Afghanen inzwischen auf 45 Prozent gesunken – obwohl es in deren Land bekanntlich eher unsicherer als sicherer wird.

Und die überwiegende Mehrheit der Syrer (70 Prozent laut Pro Asyl) bekommt auch kein vollwertiges Asyl mehr nach der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern nur noch „subsidiären Schutz“. Was bedeutet, dass die Menschen ihre Familien über Jahre nicht nachholen können und immer nur Aufenthaltstitel für ein Jahr bekommen. Was wiederum das Integrieren auch nicht einfacher macht.

Zum Glück scheinen die Richter die harte Linie der Politik bislang nicht mitzugehen. Laut Pro Asyl wurden bundesweit bis Oktober 19.500 Klagen von SyrerInnen gegen den „subsidiären Schutz“ eingereicht, 1.900 wurden schon entschieden, nur 120 waren erfolglos. 1.400 Kläger bekamen recht, der Rest hat sich aus anderen Gründen erledigt.

So betrachtet könnte man die Sache gelassen sehen: Solange die Richterschaft als Korrektiv gegen menschenrechtsfeindliche Politik funktioniert, wen kümmert’s, was der Bundesinnenminister will? Zumal Nochjustizsenator Thomas Heilmann (CDU) angekündigt hat, sieben zusätzliche Richter einzustellen.

Diese legalistische Sicht – was regt ihr euch auf, der Rechtsstaat funktioniert doch – blendet die Sicht der Betroffenen aus. Sie müssen immer länger in diesem Schwebezustand ausharren: keine Wohnung, keine Arbeit und keine Ahnung, wann und wie es weitergeht. Schon jetzt warten Flüchtlinge im Durchschnitt 14 Monate auf eine Entscheidung ihres Antrags. Klagen sie im Anschluss, müssen sie noch mal rund ein Jahr warten.

Lange Rede, kurzer Sinn: Es wird immer mehr Zeit, Energie und Geld darauf verschwendet, Flüchtlinge abzuschrecken und loszuwerden. Wenn man es stattdessen dafür ausgäbe, ihr Ankommen in dieser Gesellschaft zu gestalten, wäre viel gewonnen.

15 Oct 2016

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Susanne Memarnia

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