taz.de -- Flüchtlingspolitik in Österreich: Wien bereitet mal den Notstand vor
Die Versuche der Regierung, Flüchtlinge abzuwehren, grenzen an ein Possenspiel: Die Koalition hat eine Sonderverordung verabschiedet.
Wien taz | Der Notstand droht in Österreich. Eine Sonderverordnung, auf deren Text sich die Koalitionspartner SPÖ und ÖVP am Dienstagabend geeinigt haben, soll dann in Kraft treten, wenn durch den weiteren Zustrom von Flüchtlingen Ungemach droht. Das passiert nach dem Dafürhalten der Regierung, wenn 37.500 Asylanträge in diesem Kalenderjahr gestellt wurden.
Ein Mehr an Asylanträgen stelle eine Gefahr für die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit“ dar, heißt es in dem Entwurf. Und, so die originelle Formulierung: Bei den Asylbehörden würden „die personellen Ressourcen zum Erliegen kommen“.
Während das Innenministerium in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ zu Straftaten von Asylwerbern jeden Alarmismus vermied und nur geringe Zuwächse auswies, wird das Sicherheitsproblem für die Notverordnung durch Statistiken untermauert.
Neben Diebstählen und Suchtgiftdelikten seien „auch Vergewaltigungen und ein Mord“ begangen worden. Angesichts der zunehmenden Radikalisierung unter den Gefängnisinsassen sei aus Kapazitätsgründen „ein an den Zielen der Resozialisierung orientierter Strafvollzug kaum mehr möglich“. Dazu kämen Engpässe bei der Unterbringung und bei der Integration von Kindern in den Regelunterricht, Belastungen für das Sozialsystem und den Haushalt.
Asylanträge würden nach Erreichen der Obergrenze nur mehr von Flüchtlingen entgegengenommen, die enge Verwandte im Land haben oder bei Abschiebung von Folter bedroht wären. Ungeklärt ist, wie mit Asylsuchenden verfahren werden soll, die dann an der Grenze anklopfen. Denn Ungarns Regierung hat wiederholt klargemacht, man werde keine Flüchtlinge zurücknehmen.
Bisher herrscht auch keine Einigkeit, wann die Sonderverordnung in Kraft treten soll: Wenn die Obergrenze erreicht ist oder schon vorher. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) will „die Feuerwehr nicht erst dann rufen, wenn es brennt“. Er konnte aber Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) zustimmen, der davon sprach, das Erreichen der magischen Zahl müsse „in Reichweite“ sein. Der Angabe konkreter Details entzogen sich alle von den Medien befragten Minister durch den Wunsch, der Ernstfall werde nie eintreten.
Erwartungsgemäß übten nicht nur die Grünen Kritik am bevorstehenden Aussetzen einer menschenrechtlichen Verpflichtung. Für Christoph Pinter, Leiter des UN-Flüchtlingshochkommissariats in Österreich, begeht die Regierung einen „Tabubruch“.
7 Sep 2016
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