taz.de -- Pro & Contra Russland bei Olympia: War die IOC-Entscheidung richtig?

Das russische Olympia-Team wird nicht komplett gesperrt. Entschied das IOC. Ist das richtig so?
Bild: Russische Athlet_innen in Rio? Dem Bär gefällt das!

Ja, man sollte Russland nicht en bloc sperren

Man kann es sich einfach machen und das Dopingding in Russland als einen einzigen großen Fall betrachten. Dann entsteht ein klares Bild, denn wir haben es mit Staatsdoping zu. Die Konsequenzen aus der Draufsicht aufs russische Sportsystem sind für viele auch glasklar: Die Russen dürfen nicht zu den Olympischen Spielen nach Rio, weil der Sport in Moskau oder Kasan so versifft ist.

Geht doch nicht, dass diese russischen Schmuddelkinder unter den Olympischen Ringen antreten. Die gehören allesamt ausgesperrt, besser noch: weggesperrt. All das ist derzeit dutzendfach in deutschen und internationalen Blättern zu lesen. Es ist eine merkwürdige Einheitsfront, die IOC-Kritiker, Sportfunktionäre und Athletenvertreter bilden. Bei all ihrem berechtigten Prass auf die Russen und auf das in hässlichen Allianzen verfangene Internationale Olympische Komitee scheinen sie allerdings das Maß verloren zu haben.

Sie argumentieren in strenger Law-and-Order-Manier und werfen westliche Rechtsstandards lieber über Bord, als den Russen eine olympische Medaille zu gönnen. Wenn es um Dopingfragen geht, dann wird gern mit der Keule geschwungen: Macht doch nichts, heißt es dann, wenn sich ein paar Unschuldige blaue Flecken und Platzwunden einfangen, es geht schließlich um übergeordnete Ziele, um Fairness und die Integrität des Sports – was immer das sein soll. Als wolle man Jahre der Versäumnisse aufholen, wird man plötzlich entschieden rigoros.

Man kann es sich aber auch weniger einfach machen und das Dopingding in 387 Fällen einzeln betrachten. So viele Sportler wollte das Russische Olympische Komitee eigentlich nach Brasilien schicken. Jetzt wird das Team kleiner. Wir wissen nicht, ob saubere oder gedopte nach Rio fahren. Wir wissen nur, dass sie internationale Dopingtests vorweisen müssen. Die Entscheidung des IOC, solche Athleten für die Spiele zuzulassen, ist kein schlechter Kompromiss, weil sie Sportler schützt. Sie stärkt ihre individuellen Rechte. Sie haben sich jahrelang auf diesen Höhepunkt vorbereitet, und für einige russische Athleten hat sich das nun gelohnt. Das ist keine Niederlage für Olympia. Die Spiele haben schon ganz andere Doper ausgehalten. Zum Beispiel Sprinter aus Jamaika oder Gewichtheber aus Kasachstan. (Markus Völker)

Nein. Fair Play sieht anders aus

Die Entscheidung des IOC, „saubere“ russische Athleten nun doch bei den Olympischen Spielen in Rio antreten zu lassen, ist grotesk. Wie sollen denn bitte die Betroffenen in der kurzen Zeit, die ihnen noch bis zur Eröffnungsfeier bleibt, den Nachweis antreten, nicht gedopt zu haben? Einmal abgesehen davon, dass es schon von einer besonderen Chuzpe zeugt, die Verantwortung für diese Entscheidung einfach auf die jeweiligen Weltverbände abzuschieben. So liegt doch eher der Verdacht nahe, dass am Ende einfach durchgewunken wird – nach dem Motto: Dabei sein ist eben doch alles.

So sehen sie also aus, die strikten Auflagen für die russischen Sportler, die verfügt zu haben sich das IOC rühmt. Man stelle sich einen Athleten vor, der eben nicht sicher sein kann, ob sein Mitkonkurrent, der zu Hochform aufläuft, sich unlauterer Mittel bedient hat. Da macht eine Teilnahme bei Olympia doch so richtig Spaß!

Zu der Entscheidung des IOC passt auch, dass die russische Leichtathletin und Whistleblowerin Julia Stepanowa nicht in Rio mitlaufen darf. Gut, auch Stepanowa hat gedopt und dafür mit einer zweijährigen Sperre bezahlt. Aber anstatt sie für ihre Enthüllungen zu belohnen, wird „Russlands Staatsfeindin Nummer eins“ in Rio mit einem Platz auf den Zuschauerrängen abgespeist – Ehrentribüne, versteht sich. Der Umgang mit Stepanowa dürfte wohl kaum dazu angetan sein, Insider zu motivieren, künftig in Sachen Doping auszupacken.

Was genau das IOC und allen voran dessen Präsidenten Thomas Bach zu dem Votum bewogen hat, darüber lässt sich nur mutmaßen. Dennoch bleibt es ein Kotau vor Präsident Wladimir Putin. Und der ist umso peinlicher und unerträglicher, als es nicht um das Fehlverhalten einzelner Sportler geht. Es geht – wie von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in ihrem Bericht niedergelegt – um staatliches Doping in großem Stil, das anderswo seinesgleichen sucht.

Die Konsequenzen sind fatal. So wird die olympische Idee nachhaltig diskreditiert: Warum ehrlich sein, wenn ein bisschen Blutdoping kein Hindernis für einen Start ist, mögen sich manche SportlerInnen jetzt fragen. Auch der weltweite Kampf gegen Doping wird so nicht gerade befördert.

Nein, Herr Bach: Fair play sieht anders aus! (Barbara Oertel)

25 Jul 2016

AUTOREN

Markus Völker
Barbara Oertel

TAGS

Russland
IOC
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Doping
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Doping
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Basketball
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
IOC
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Doping
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024

ARTIKEL ZUM THEMA

Folgen des Dopings: Paralympics ohne Russland

Der Internationale Sportgerichtshof CAS bestätigt die Entscheidung, das russische Team wegen Staatsdopings von den Paralympics auszuschließen.

Vorwürfe systematischen Dopings: Paralympics ohne Russland

Radikaler Schnitt: Das Internationale Paralympics Komitee sah in der Affäre um vermeintliches Staatsdoping die Kollektivstrafe als unausweichlich an.

Sportmediziner über Doping bei Olympia: „Erwischt werden die armen Trottel“

Dass Russland das schlimmste Doping betreibe, sei sehr unwahrscheinlich, sagt Perikles Simon. Im Westen stünden Athleten genauso unter Druck.

Kolumne American Pie: Verloren in der Tiefe

Die Ausnahmebasketballspielerin Candace Parker wurde nicht für die Olympischen Spiele in Rio nominiert. Das befördert Verschwörungstheorien.

Griechischer Sport vor Rio: Rudern gegen die Verhältnisse

Marode Sportstätten, gestrichene Förderung, fehlende Jugend. Der Sport in Griechenland kämpft mit vielen Widrigkeiten.

IOC-Entscheidung Russland und Olympia: Kein Komplett-Ausschluss in Rio

Das IOC gibt die endgültige Entscheidung an die internationalen Sommersportverbände weiter. Die russischen Leichtathleten sind aber trotzdem raus.

Doping bei Olympia: Weitere 45 Athleten unter Verdacht

Wenige Wochen vor der Eröffnung der Spiele in Rio sind 45 weitere Sportler auffällig. Offen ist, ob erneut Athleten aus Russland betroffen sind.

Dopingsperre für Russland: Kurz vorm Ziel gestoppt

Das Urteil des Sportgerichtshofs ebnet den Weg für einen Komplettausschluss Russlands in Rio. Die Entscheidung liegt beim IOC-Präsidenten.

Kommentar Dopingfälle vor Olympia: Die Russen verprellt man nicht

Wegen Doping alle russischen Athleten von den Spielen ausschließen? In der Funktionärslogik des IOC geht das nicht. Aber es gäbe eine Lösung.