taz.de -- Wada-Bericht über Doping in Russland: Ein Netz quer durch die Disziplinen

Im McLaren-Bericht werden schwere Anschuldigungen erhoben. Nun steht das IOC unter Druck. Russland droht der komplette Olympiaausschluss.
Bild: „Verbotene Zone“ an einem Container in Sotschi: In diesem Gebäude lagern wohl eher Sportgeräte als versteckte Dopingproben

Es waren gravierende Vorwürfe, die der kanadische Anwalt Richard McLaren am Montag in Toronto vorbrachte: Mindestens seit 2010 soll es in Russland staatlich geleitetes Doping geben; positive Dopingproben sollen systematisch ausgetauscht worden sein, auch die russische Anti-Doping-Agentur Rusada, die er lächelnd als „Doping-Agentur“ bezeichnet, soll involviert gewesen sein.

Hintergrund der Ermittlungen waren unter anderem mutmaßliche massenhafte Manipulationen von Dopingproben bei den Winterspielen 2014 in Sotschi. Im sogenannten McLaren-Bericht hat der Kanadier nun konkrete Beweise vorgelegt. Damit setzt er das Olympische Komitee (IOC) unter Zugzwang.

Laut dem McLaren-Bericht waren die russischen Dopingvergehen deutlich umfangreicher als bisher angenommen. Es soll um rund 2.800 vernichtete Dopingproben statt der vermuteten 1.400 gehen; außerdem seien, so McLaren, bei Weitem nicht nur die Leichtathleten betroffen. Sein Team habe ein Netz „quer durch die Sportarten“ aufgedeckt. Allein im Moskauer Labor fanden sie 577 versteckte positive Dopingbefunde.

Dass sich aus dem Papier neue Vorwürfe gegen Russland ergeben würden, war schon vorab zu erwarten. Vor der Veröffentlichung seiner Ergebnisse hatte McLaren angekündigt, er habe „ausreichend erhärtete Beweise“ für „staatlich gelenkte Manipulationen“. Seit Freitag liegt das Papier der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada vor. Offen bleibt, wie das IOC auf die Vorwürfe reagieren wird. Die Entscheidungsgewalt darüber, ob Russland tatsächlich komplett für die Olympischen Spiele gesperrt wird, liegt beim Komitee.

IOC-Chef Bach laviert

Bislang hatte IOC-Präsident Thomas Bach versucht, um eine Kollektivbestrafung herumzukommen. „Das IOC muss die richtige Balance zwischen kollektiver Verantwortung und individueller Gerechtigkeit finden“, so Bach. Ein Badminton-Spieler dürfe nicht für die Manipulationen eines Laborleiters verantwortlich gemacht werden. Doch nicht nur diverse nationale Anti-Doping-Agenturen drängen auf ein konsequentes Eingreifen. Auch rund 20 Athletengruppierungen unterstützen die Forderung, Russland komplett auszuschließen.

Am Wochenende hatte die US-amerikanische Anti-Doping-Behörde Usada, denen der McLaren-Bericht vorlag, den Druck auf das IOC schon mal präventiv erhöht. Die Usada forderte das Olympische Komitee in einem Briefentwurf auf, die Russen komplett zu sperren und diese Entscheidung spätestens bis zum 26. Juli zu fällen. Auch andere Länder unterstützen den Brief, unter anderem die deutsche Anti-Doping-Agentur Nada. „Wir befinden uns in Abstimmung mit der Usada“, so die Sprecherin Eva Bunthoff.

An politischer Brisanz mangelt es nicht: Russland kritisiert die Forderung der Agenturen als politisch motiviert und voreilig; Dmitri Swischtschjow, Chef des Sportausschusses, bezeichnete sie als „Vorwand, um Konkurrenten auszustechen“. Außerdem wurde Kritik laut, mit dem kompletten Ausschluss würden unschuldige Athleten in Sippenhaft genommen. Zumindest das Argument, die Anschuldigungen seien voreilig, hat nun allerdings an Boden verloren. Der McLaren-Bericht erhöht den Druck sowohl auf Russland als auch auf das IOC.

Schon seit dem Dokumentarfilm „Geheimsache Doping – wie Russland seine Sieger macht“, der im Dezember 2014 die Vorwürfe des systematischen Dopings erstmals konkret aufbrachte, weitet sich der russische Skandal aus. Zunächst waren im November 2015 nur die russischen Leichtathleten gesperrt worden; auch hier lautete der Vorwurf flächendeckendes Doping. Russland legte gegen die Entscheidung Einspruch ein. Am Donnerstag wird vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS darüber entschieden. Der McLaren-Bericht könnte dafür eine wichtige Rolle spielen.

Noch ist nichts entschieden. Der Kreml fordert vehement, saubere Athleten zu Olympia schicken zu dürfen. Russland wolle sich mit allen Kräften für die Teilnahme seiner Athleten einsetzen, so Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag. „Es gibt ein ganzes Arsenal an legalen Mitteln, und Russland wird dieses Arsenal bis zum Letzten ausschöpfen.“

Dabei erhalten sie Unterstützung etwa vom Welt-Turnverband FIG, der offenbar nicht auf die russischen Stars verzichten will. „Saubere russische Turner müssen bei den Spielen antreten dürfen“, forderte der Verband.

18 Jul 2016

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Alina Schwermer

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