taz.de -- Kolumne Warum so ernst?: Das Mädchen aus dem Computerspiel

Unser Kolumnist, der Menschheit treuer Held, jagt, foltert und unterliegt am PC einem Mädchen – bis er feststellt: Er kennt es.
Bild: So stark wie die Frau in diesem Spiel muss Saeeds Gegnerin auch gewesen sein – er kann sie nicht besiegen

Als ich dir im Traum begegnete,

war ich der Kämpfer aus dem Computerspiel.

Project I.G.I.;

Der junge, der Menschheit treue Held,

der Starke / der Kämpferische / der Eloquente / der Erfindungsreiche / der Kriegserfahrene / Innovative

und manchmal Blutrünstige.

Ich kämpfte viele Schlachten,

beging viele Massaker,

sprengte alle Benzinfässer in die Luft,

tötete die Soldaten,

für jeden Soldaten eine Bazooka.

Keinen ließ ich am Leben.

Keine Lampe ließ ich brennen.

Die Überwachungskameras schlachtete ich ab wie Schafe.

Ich durchquerte alle Levels.

Fuhr mit dem Zug / flog mit dem Kampfjet.

Ich hatte viele Waffen, denn ich hatte die Funktion

F11

gewählt

die verhindert, dass einem die Waffen ausgehen.

Ich warf wahllos mit Panzerfäusten um mich.

Versuchte, den Schnee mit Panzerfäusten zu schmelzen.

Ich hatte viel Blut, denn ich hatte die Funktion

F12

gewählt

die das Ausbluten verhindert.

Ich stürzte mich von Überwachungstürmen

von den höchsten Bergen

von den Dächern der Hochhäuser.

Wie schön war doch der Klang meiner Schuhe

im Endlevel.

Du warst jenes Mädchen, von dem es heißt, man könne sie nur durch zehn Kopfschüsse töten.

Ich warf dir eine Mörsergranate auf den Kopf.

Rollte mit dem Panzer darüber.

Steckte ihn in eine Metallpresse.

Warf dich in einen brennenden Schmelzofen.

Hing dich an den Füßen an einem Baum auf und schnitt dir die Pulsadern auf.

All meine Waffen verwendete ich

alle mir bekannten Methoden der Folter und Tortur.

Vergebens.

Als ich jetzt auf Google nach deinem Wesen gesucht habe,

stellte ich fest, dass du meine Freundin bist, und gar nicht zu der Bande gehörst.

Deswegen also konnten dir all diese Waffen nichts anhaben.

Ach du, Mädchen aus dem Computerspiel.

Aus dem Arabischen Sandra Herzl

6 Jul 2016

AUTOREN

Aboud Saeed

TAGS

Warum so ernst?
Computerspiel
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Fliege
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien

ARTIKEL ZUM THEMA

Computerspiele und Behinderung: Maschine statt Mensch

Blinde, Taube, Muskelkranke? Gibt es nicht. Die Videospielbranche ist im Umgang mit behinderten Charakteren bislang nicht mutig genug.

Kolumne Warum so ernst?: Sie kriegt nicht genug von mir

Sie zieht immer aufreizendere Sachen an. Sie sagt: „Bleib du einfach zu Hause und ruh dich aus, ich gehe arbeiten und halte dich aus!“

Kolumne Warum so ernst?: Komm' mal klar

Alle sprechen über Facebook – obwohl sie keine Ahnung haben. Da fragt man besser mal den klügsten Mensch im Facebook.

Kolumne Warum so ernst?: Ein gewöhnlicher und schöner Tag

Was man eben so träumt, morgens, bei der ersten Tasse Kaffee, wenn keine neuen Bombardements vermeldet werden.

Kolumne Warum so ernst?: Alltägliches

Oh, wenn sie nur wüssten!, denkt unser Kolumnist aus Syrien. Und knallt dann mal alles auf den Tisch.

Kolumne Warum so ernst?: Die freche Fliege

Wäre ich ein Insekt, würde ich, der Marginalisierung zum Trotz, die Kamera des Fotografen anpeilen und mich auf die Linse der Kamera setzen.

Kolumne „Warum so ernst?“: Traktor, Redakteurin, Kolumne

Denk ich an „Arbeit“, dann denk ich an den Schmied, den Anstreicher, den Metzger, den Schneider – aber doch nicht ans Schreiben.

Kolumne „Warum so ernst?“: Deutschlands letzte Könige

Gegenüber allem soll man hierzulande Position beziehen, von der Ampel bis zur leeren Zigarettenschachtel. Auch wenn man aus Syrien stammt.

Kolumne „Warum so ernst?“: Du bist doch jetzt Deutscher

Ich bekomme diese Anrufe aus Syrien. Sie wollen, dass ich ihnen helfe. Sie haben den Unterschied zwischen Asyl und Staatsbürgerschaft nicht kapiert.