taz.de -- Vor dem Brexit-Referendum: EU-Skeptiker im Westen Cornwalls
Im Juni entscheiden die Briten über ihren EU-Austritt. In Cornwall mischt sich eine diffuse Antipathie gegen Ausländer mit EU-Skepsis.
Newquay taz | Der Mann mit Ziegenbart, Mitte 40, eilt schnellen Schrittes aus Richtung Strand mit seiner großen Bulldogge und macht sich wichtig. „Ja,is'ganz klar, raus aus der Scheiße!“, ruft er energisch. Hier in Newquay – einer Stadt in Englands westlichster Region Cornwall mit rund 20.000 Bewohnern, aber 100.000 im Sommer, wenn Touristen in die sonst leeren Sommerapartments und Hotels einziehen – seien zu viele von „denen“!
Wen er da meint? „Na, die Tausende von Einwanderern, überall, die uns die Arbeit wegnehmen. Ich sage ‚Grenzen dicht‘“!, schimpft er. Er ist nicht der Einzige, der an Englands Atlantikküste so denkt. Deborah Paddock, 66, eine ehemalige Pflegerin, erzählt ernst vom „überfluteten Gesundheitssystem und Osteuropäern, die für weniger Geld arbeiten“, und „dass Großbritannien einfach zu klein ist, um so viele Immigranten aufzunehmen“.
Die Litauerin Vitalja Pagalgte, 23, arbeitet seit vier Jahren hier als Zimmermädchen. Sie hat solche Argumente schon oft gehört, dass Menschen wie sie angeblich von der Sozialhilfe leben und das Gesundheitssystem aussaugen. „Das ist lachhaft, ich arbeite und zahle Steuern!“, sagt sie dazu. Doch auch Pagalgte ist sich nicht mehr ganz sicher, ob die EU etwas Gutes ist. „Ich vermisse meine Familie, Freunde und meine Katze“!, verrät sie mit ernster Miene.
Auch andere Immigranten sind EU-Skeptiker: Die Managerin eines Tabakwarenladens, Aimee Dabrowski, 31, glaubt, die EU sei ein Klub der Reichen. Man sieht nur wenige hier, die gegen Brexit sind. Baumeister John Phillis, 53, ist einer. Er fasst seine Meinung mit einem englischen Sprichwort zusammen: „Besser der Teufel, den man kennt, als der, den man nicht kennt“, glaubt er. So mancher in Cornwall glaubt, man gehöre sowieso nicht zu England. Fragen zu einer möglichen Unabhängigkeit der Region stehen nach Schottland, Nordirland und Wales auch hier auf der Tagesordnung.
25 Apr 2016
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