taz.de -- Vierte ComicInvasion in Berlin: „Es steckt viel Energie in der Szene“

An diesem Wochenende findet Berlins größtes Comicfestival statt. Ein Gespräch mit den Gründern des Comicverlags Reprodukt.
Bild: Ur-Maus des Comics: Am Wochenende auf der ComicInvasion in Friedrichshain

taz: Frau Harms, Herr Rehm, Ihr Verlag Reprodukt wird dieser Tage 25 Jahre alt. Stimmt es, dass die Berliner Zeichnerszene nach dem Mauerfall den deutschen Comic revolutioniert hat?

Dirk Rehm: Die Berliner Zeichner haben dazu beigetragen, dass sich das Bild der deutschen Comicszene im Ausland verändert hat – und auch das Bild der Berliner Szene, die zuvor durch die Comics aus der Hausbesetzerszene geprägt war. Vor allem die Publikationen der PGH Glühende Zukunft boten grafisch absolutes Neuland: die Ostberliner Zeichner Detlef Beck, Anke Feuchtenberger, Holger Fickelscherer und Henning Wagenbreth. Anfang der Neunziger entstand fast gleichzeitig mit Reprodukt der Verlag Jochen Enterprises, von dessen Zeichnern Tom das kommerziell erfolgreichste Zugpferd war …

Tom, der Hauszeichner der taz, arbeitet nach wie vor mit Knollennasen …

Dirk Rehm: Tom darf das. Außerdem hab ich gar nichts gegen Knollennasen …

Ach ja?

Dirk Rehm: Klar. Sein Humor ist großartig!

Ist Berlin nach wie vor die deutsche Hauptstadt des Comics?

Dirk Rehm: Mit Berlin kann höchstens Hamburg konkurrieren, wo die Szene sich allerdings erst nach der Jahrtausendwende stärker nach außen präsentiert hat.

Wie hat sich das Berlinbild im Comic seit damals verändert?

Jutta Harms: Das ist schwer zu sagen. Wir versuchen ja nicht bewusst, ein Berlinbild zu repräsentieren. Es kommt vor, dass Berlin für einen unserer Autoren ein Thema oder eher noch der Handlungsort ist. Ein gutes Beispiel dafür ist „Kinderland“ des Berliner Zeichners Mawil.

Dirk Rehm: Es gibt einen neuen Comic mit dem Titel „Berlin 2.0“ von Mathilde Ramadier und Alberto Madrigal bei Futuropolis, einem französischen Verlag – und bislang nur in französischer Sprache erhältlich. Mathilde schreibt über die digitale Boheme und über die Schwierigkeiten, in dieser Stadt als Praktikantin oder mit Minijobs zu überleben. Es scheint einen Blick von außen zu brauchen, das Stadtleben so zu beschreiben, wie sie es tut. Bei den Berliner Zeichnern spielt Berlin als Handlungsort eher selten eine Rolle. Ich empfand es auch in den Neunzigern so, dass die Stadt in den Comics von ATAK oder Fil nur als Chiffre, gern reduziert auf den Fernsehturm, gezeigt wurde. Berlin schlug sich eher in der Wildheit der Arbeiten nieder. In der Freiheit, Dinge auszuprobieren, mit Sprache, Form und Farbe zu spielen.

Ist von diesem Aufbruchsgeist noch etwas übrig geblieben?

Jutta Harms: Die Szene hat sich stark ausdifferenziert.

Dirk Rehm: Ich würde schon sagen, dass es diesen Aufbruchsgeist noch gibt. Auf der ComicInvasionBerlin kann man eine sehr lebendige Szene entdecken, junge Zeichner, die Hefte im Selbstverlag produzieren, von denen manche ganz bewusst gar kein großes Publikum ansprechen wollen, sondern den Austausch mit Publikum und Gleichgesinnten suchen. Es steckt nach wie vor sehr viel Energie in der Berliner Comicszene!

Haben Sie als etablierter Verlag mit sechs Angestellten noch Kontakt zu dieser Szene?

Dirk Rehm: Auf jeden Fall. Nicht zuletzt über unsere jungen Mitarbeiter, die sehr gut mit der Szene vernetzt sind.

Jutta Harms: Wir starten gerade eine neue Reihe, gegründet für Zeichner, die nicht gleich eine Geschichte auf 200 Seiten erzählen können oder wollen. Diese Reihe soll Zeichnern – vor allem jungen – ermöglichen, mit Inhalten und Erzählformen zu experimentieren. Durch festgelegte Produktionsstandards für diese Reihe halten wir das finanzielle Risiko gering, damit wir uns dieses schöne Geschenk zum 25. Jubiläum leisten können.

Was war in den 25 Jahren das Erfolgsrezept von Reprodukt?

Dirk Rehm: In den ersten Jahren haben wir nur einfach die Comics publiziert, die wir selbst lesen wollten. Erst ab 2003 haben wir bewusst darauf hingearbeitet, mit dem Veröffentlichen von Comics unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Zunächst indem wir Koproduktionen mit französischen und spanischen Verlagen angestrebt haben, bei denen Druckkosten geteilt wurden. In der Folge haben wir langsam auf das Buchformat gewechselt, auf autobiografische und auch literarische Comics, die etwas später als Graphic Novels ihren Weg in die Regale der Buchhandlungen gefunden haben.

Sind Sie zufrieden?

Dirk Rehm: Es gibt nach wie vor wenige Buchhändler, die gern Comics lesen und das auch vermitteln können. Man kann sie an einer Hand abzählen.

Jutta Harms: Wir würden nach wie vor gern ganz andere Auflagen erreichen, die eine richtig solide Geschäftsgrundlage schaffen – das ist im Grunde genommen immer noch nicht so.

Hat sich die Graphic Novel nicht längst in der sogenannten Hochkultur etabliert?

Dirk Rehm: Es gehört inzwischen bei den literarischen Verlagen zum guten Ton, Graphic Novels zu verlegen. Das sagt aber nicht immer viel über den kommerziellen Erfolg dieses Genres aus …

Also ist der Comic immer noch nicht im Mainstream angekommen?

Jutta Harms: In der Breite ist es immer noch nicht normal, Comics zu lesen oder gar Kindern in die Hand zu geben.

16 Apr 2016

AUTOREN

Susanne Messmer

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