taz.de -- Island nach den Panama Papers: Piraten mit großem Auftrag
Herausforderung und Chance: Nach dem Rücktritt des isländischen Regierungschefs könnte künftig eine Piratin an der Regierungsspitze stehen.
REYKJAVIK taz | Islands Regierungschef hatte eigentlich genügend Zeit, anständig abzutreten. Drei Wochen lagen zwischen Aufzeichnung und Ausstrahlung des denkwürdigen Interviews, in dem Sigmundur Davíð Gunnlaugsson erst treuherzig behauptet, niemals etwas mit Steueroasen zu tun gehabt zu haben, um nach der Ankündigung, dann müsse man wohl über die Offshore-Gesellschaft „Wintris Inc“ reden, die Beherrschung zu verlieren und mit einem „ihr habt mich reingelegt“ aus dem Raum zu stürmen.
Doch statt schon mal die Koffer zu packen, glaubte er offenbar tatsächlich, den unvermeidlichen Proteststurm einfach aussitzen zu können. Von erstaunlicher Realitätsferne bei Politikern schützt wohl auch die Überschaubarkeit eines Landes wie Island – dessen Einwohnerzahl etwa jener Bielefelds entspricht – nicht.
Nein, die IsländerInnen mussten mal wieder die Kochtöpfe aus dem Küchenschrank holen und lärmend vor das Parlament ziehen, Gunnlaugsson sich vom Staatspräsidenten öffentlich bloßstellen und von Parteifreunden beknien lassen, nicht auch noch die Regierung zu kippen, bevor er sich [1][zum Rücktritt bereit erklärte].
Und natürlich ist die jetzige „Lösung“ mit seinem Stellvertreter und der gleichen Koalition zum Scheitern verurteilt. Eher früher als später werden die demonstrationserprobten IsländerInnen ihren Willen bekommen – und es wird Neuwahlen geben.
Dann dürfte Island erneut internationaler Aufmerksamkeit sicher sein. Seit einem Jahr sind die woanders längst entschlafenen Piraten hier in den Umfragen [2][stärkste Partei]. Eine links-grüne Regierungskoalition mit einer Piratin an der Spitze zeichnet sich ab.
Sie muss überlegen, mit welchen Maßnahmen sie den Ruf des Landes wieder verbessern will, das sich nach dem Crash von 2008 erstaunlich gut erholt hatte. Das aber nun mit einer politischen Kaste dasteht, die sich den Vergleich mit den politischen Eliten Russlands und der Ukraine gefallen lassen muss.
7 Apr 2016
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Mit Marina Weisband haben die Piraten eines ihrer bekanntesten Mitglieder verloren. Doch zur Berlin-Wahl bekommen sie unerwartete Hilfe.
Michael Kemmer vom Bankenverband hält für die Geldhäuser den Kopf hin. Wie er nun Briefkastenfirmen entschuldigt, überrascht aber doch.
Der Skandal um die Beteiligung des britischen Premiers an einem Fonds seines Vaters ist keiner. Das Problem liegt ganz woanders.
Premier David Cameron hat seine Beteiligung an einer Briefkastenfirma seines Vaters eingeräumt. Gegen Präsident Macri wurden Ermittlungen eingeleitet.
Die Regierung Panamas steht nach der Veröffentlichung unter Druck. Jetzt soll eine Kommission die Geschäfte im Bankensektor untersuchen.
Ministerpräsident Gunnlaugsson muss den Hut nehmen. Jetzt könnte die Piratenpartei den nächsten Regierungschef stellen.
Nicht zufällig sind die meisten Namen aus den „Panama Papers“ von weißen Männern. Denn zum Kapitalismus gehören auch Rassismus und Sexismus.
Ministerpräsident Gunnlaugsson kündigt erst seinen Rücktritt an und zieht ihn dann wieder zurück. Zehntausende hatten gegen ihn demonstriert.
Von Argentinien bis zur Ukraine, von Island bis Saudi-Arabien. Die „Panama Papers“ zeigen, dass sich Politiker aus aller Welt an Briefkastenfirmen beteiligten.
Nach der Enthüllung über zigtausende Briefkastenfirmen wird weltweit wegen Steuerhinterziehung ermittelt. In Island könnte der Premier das Vertrauen verlieren.