taz.de -- Berlinale – Wettbewerb: Über den Zaun zur Army

In Rafi Pitts’ Migrantendrama „Soy Nero“ sucht ein junger Mexikaner nach der Eintrittskarte zur Welt der Reichen und Schönen.
Bild: Johnny Ortiz in „Soy Nero“.

Die Filmer Irans waren immer wieder mit starken Beiträgen im Wettbewerb der Berlinale vertreten. Für den aktuellen iranischen „Neorealismus“ wurden Regisseure wie Asghar Farhadi oder Jafar Panahi zuletzt geehrt. Auch Rafi Pitts’ „Zeit des Zorns“ galt 2010 als zornige und gelungene Parabel auf die repressive Mullahdiktatur. Danach blieb Pitts wie so viele seiner Landsleute besser im Ausland.

Mit „Soy Nero“ präsentiert der kosmopolitische Exilant nun einen Spielfilm, in dem er sich alle Mühe gibt, nicht mehr als iranischer Filmer wahrgenommen zu werden. Ob das gut gehen kann? Aber warum sollte ein Regisseur thematisch auf seine nationale Herkunft festgelegt sein?

In „Soy Nero“ macht Pitts also Schluss mit iranischem Kino. Keine Dowlatabadi- oder Bayzai-Romanverfilmungen und kein Versteckspiel mit der iranischen Filmzensur mehr, das er so gekonnt wie viele iranische Regisseure betrieb.

Für „Soy Nero“ war Pitts frei, das Drehbuch so zu schreiben und so zu verfilmen, wie er es wollte. Er erfand sich also einen jungen Mexikaner, „Nero“ (Johnny Ortiz), und inszeniert diesen bei Versuchen, die Grenze zwischen Mexiko und den USA zu überwinden. Dies glückt Nero endlich während eines Feuerwerks, das die US-Grenzpatrouillen ablenkt.

Mangelnde Tiefe

Nero will zu seinem Bruder nach Los Angeles. Er versucht, dies mit Hilfe eher alltäglich und verrückt wirkender US-Bürger zu schaffen. Die wirken derart verhaltensauffällig, dass sie für einen illegal reisenden Latino selbst zur Gefahr werden. Doch Nero gelangt zu dem traumhaften Anwesen des Bruders in Beverly Hills und dessen sexy Frau im Pool. Immerhin erweist sich die ID-Karte des Bruders als echt, mit der sich Nero als Freiwilliger zur Army und zum Krieg im Mittleren Osten meldet. Auf diese Weise will er US-Citizen werden, so er das Abenteuer überlebt.

Das Thema von Pitts ist gut gewählt, aber filmisch vermisst man die frühere Klasse. Den Figuren in „Soy Nero“ mangelt es an Tiefe, Szenen, und Bilder von Grenzzaun, Los Angeles oder Wüstenkrieg wirken klischiert, sind ohne wirklich eigene Erzählung.

Statt raffiniert die iranische Filmzensur zu überlisten, spielt die spröde Kamera nun vor allem mit der Schärfentiefe. Vieles wirkt dabei sehr unspezifisch und ergibt kaum Sinn, gerade die pennälerhaften Hip-Hop-Dialoge und das Töten in der Wüste. Für einen Rafi Pitts scheint das zu wenig.

19 Feb 2016

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Andreas Fanizadeh

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