taz.de -- Kommentar Beschleunigte Asylverfahren: Tollkühne Turbo-Pläne
Die Pläne für das beschleunigte Asylverfahren stoßen zu Recht auf heftige Kritik. Die Leidtragenden wären traumatisierte Flüchtlinge.
Seit Monaten verhandeln Union und SPD über ein zweites Asylpaket. Ein wichtiges Element ist dabei die Einführung beschleunigter Asylverfahren. Die Prüfung von Asylanträgen soll binnen einer Woche abgeschlossen sein, wenn der Antragsteller aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ stammt, einen Folgeantrag gestellt hat oder verdächtigt wird, seine Papiere beseitigt zu haben.
Pro Asyl und andere Menschenrechtsorganisationen kritisieren den Plan. Binnen einer Woche sei keine faire Prüfung der Fluchtgründe möglich. Vor allem traumatisierte Flüchtlinge seien nach einer Woche nicht stabil genug für ein Asylverfahren.
Die Kritiker nehmen den Plan der Koalition offensichtlich ernst. Selbstverständlich ist das freilich nicht. Denn wie oft schon haben die Regierungsparteien beschleunigte Asylverfahren angekündigt? Und wie oft haben sie die Ankündigung kleinlaut wieder zurückgezogen?
Angesichts der realen Bedingungen wirkt das Vorhaben auch reichlich tollkühn. So sitzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) derzeit auf hunderttausenden von unerledigten Asylanträgen. Zudem soll für die große Gruppe der syrischen Antragsteller jetzt wieder die Einzelfallprüfung eingeführt werden, was zu massiven Verzögerungen führen wird.
Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer eines Asylantrags beträgt derzeit rund fünf Monate – wobei die meisten Flüchtlinge mehrere Monate warten müssen, bis sie überhaupt einen Antrag stellen können. In Nordrhein-Westfalen klagen jetzt hunderte von Flüchtlingen vor Gericht, damit ihre Anträge endlich entschieden werden. Vor diesem Hintergrund werden die neuen Schnellverfahren sicher kein Standard werden - wenn die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland ähnlich hoch bleibt wie derzeit.
Zugang zu allen Antragsstellern
Grundsätzlich ist der Hinweis richtig, dass traumatisierte Flüchtlinge bei Schnellverfahren unter die Räder kommen könnten, weil sie oft nicht in der Lage sind, die relevanten Fragen zu beantworten oder von sich aus über schreckliche Erlebnisse zu sprechen. Die Antwort kann aber nicht heißen, dass Asylverfahren für alle Antragsteller künstlich verlängert werden müssen.
Vielmehr ist das Asylverfahren so zu organisieren, dass Verfahrensberater der Kirchen und Wohlfahrtsverbände frühzeitig Zugang zu allen Antragsstellern haben. Erfahrene Berater können dann erkennen, welche Flüchtlinge mehr Zeit brauchen und sollten ein entschleunigtes Verfahren verlangen können. Außerdem ist potenziell traumatisierten Antragstellern bei der Anhörung eine Begleitperson, eventuell auch ein Anwalt zur Seite zu stellen.
Noch ist allerdings offen, ob das „Asylpaket II“ in der geplanten Form überhaupt kommt. Die österreichische Diskussion um Obergrenzen könnte auch in Deutschland Folgen haben. Im Mittelpunkt stünde dann nicht mehr die Beschleunigung von Asylverfahren, sondern deren Verlagerung in andere Staaten.
21 Jan 2016
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