taz.de -- Kommentar Schwedische Grenzkontrollen: Kostspielige Abschreckung

Schweden will es offensichtlich Dänemark nachmachen: Die einen plündern Flüchtlinge aus, die anderen zwingen sie auf Schlauchboote in der Ostsee.
Bild: Abschottungsversuche, die alles andere als lediglich symbolisch sind: Grenzkontrollen in Schweden.

Abschreckungspolitik ist nicht umsonst zu haben. Das hat in jüngster Zeit Dänemark erfahren.

Über dessen Regierung ergießt sich derzeit eine berechtigte Kritikflut in klassischen wie sozialen Medien angesichts ihrer Absicht, Flüchtlingen Geld und Wertgegenstände zur Finanzierung ihres Aufenthalts wegnehmen zu wollen und zu diesem Zweck Leibesvisitationen einzuführen.

Auch wenn das Gesetz noch nicht verabschiedet ist, muss Kopenhagen sich böse KZ-Vergleiche und den Vorwurf, Flüchtlinge ausplündern zu wollen, gefallen lassen. Und Fragen wie, wann denn Eheringe und Goldplomben an der Reihe seien? Geniert hat das die Urheber dieser Pläne aber offenbar bislang kein bisschen.

Anders als Dänemark hat Schweden noch einen Ruf zu verlieren, was die staatliche Behandlung von Schutzsuchenden angeht. Die Regierung glaubte deshalb, Abschreckung von Flüchtlingen billiger haben zu können: Mit Grenzkontrollen.

Panikgesetzgebung

Was man bei dieser Panikgesetzgebung offenbar gänzlich übersah: In der Öresundsregion zwischen Malmö und Kopenhagen gibt es praktisch keine Grenze mehr. 100.000 Menschen queren täglich den Öresund. 75.000 über die Brücke, fast die Hälfte davon per Bahn. Für die 10.000 ArbeitspendlerInnen verkehren die Züge im 10-Minuten-Takt.

Da kann man nicht folgenlos Kontrollen dazwischenkeilen. Weshalb die für jede fehlerhafte Ausweiskontrolle mit fast 5.000 Euro Geldbuße bedrohten Bahnunternehmen am Dienstag ankündigten, mit Einführung der Kontrollpflicht allen grenzüberschreitenden Zugverkehr einzustellen.

Ab 4. Januar heißt es nun für Zehntausende, an der Grenze umzusteigen und sich in die Schlange zur Ausweiskontrolle einzureihen. PendlerInnen sind dann jeden Tag eine Stunde länger unterwegs oder werden gleich ins eigene Auto wechseln. Erste Rechnungen sprechen von Hunderttausenden Euro zusätzlicher gesamtgesellschaftlicher Kosten. Täglich. Die wären vermutlich in einem Ausbau der Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge besser aufgehoben.

Dabei sind diese Reiseerschwernisse nur der Nebeneffekt von Abschottungsversuchen, die alles andere als lediglich symbolisch sind. Niemand ohne gültigen Ausweis kommt mehr über die Grenze nach Schweden. Asylrecht für Menschen ohne ID-Papiere wird damit kurzerhand ausgehebelt. Es sei denn, sie versuchen es im Schlauchboot über die Ostsee. Für diesen schweren Menschenrechtsverstoß hat Stockholm massive Kritik verdient. Mindestens auf Dänemark-Niveau.

23 Dec 2015

AUTOREN

Reinhard Wolff

TAGS

Schweden
Dänemark
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Grenzkontrollen
Schweden
Schweden
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Flüchtlingspolitik
David Cameron
Schweden
Flüchtlinge
Schweden

ARTIKEL ZUM THEMA

Neonazis in Schweden: EU-Mittel für braune Veranstaltung

Neonazis wollen sich im Mai in Stockholm zum „Manhemsdagen“ treffen. Das Europäische Parlament finanziert die Propaganda-Show mit.

Kommentar Schwedens Flüchtlingspolitik: Ein Europa der Grenzkontrollen

Schweden könnte mit seinen Grenzkontrollen einen Domino-Effekt auslösen. Vielleicht wird sich Europa nun endlich zusammenraufen

Grenzkontrollen in Skandinavien: Schweden testet CSU-Rezept

Asylsuchende dürfen nicht mehr ohne Ausweis nach Schweden einreisen. Dänemark hat ähnliche Pläne. Betroffen sind vor allem Minderjährige.

Rechtskonservative in Dänemark: Schärfere Regeln für Flüchtlinge

Der dänische Premierminister fordert eine Verschärfung der Regeln zur Aufnahme von Flüchtlingen. Er kritisiert die UN-Flüchtlingskonvention.

Debatte Hilfe für Geflüchtete: Die dritte Unterhose nach Kabul

Flüchtlinge bleiben auf Bahnhöfen und Straßen unversorgt zurück, weil die Behörden versagen. Die Not Geflüchteter nimmt uns in die Pflicht.

Britische Forderungen auf dem EU-Gipfel: Camerons Wunschliste

Großbritanniens Premierminister David Cameron will die EU verändern – oder austreten. Doch nicht alle seiner Forderungen finden Anklang.

Flüchtlinge in Schweden: Passkontrollen gegen liberales Image

Ab Januar führt das bisher aufnahmefreundliche Schweden Ausweiskontrollen ein. Damit sollen Flüchtlinge abgeschreckt werden.

Zugschaffner an der dänischen Grenze: Die Fahrscheine, bitte – und die Pässe

Dänemark will die Grenzkontrollen wieder einführen und dafür die Verkehrsunternehmen in die Pflicht nehmen. Das hat Folgen.

Alternativer Fußballclub in Schweden: Die anderen Profis

Die Spieler von Östersund FK tanzen Ballett, spielen Theater und veranstalten einen Lesezirkel. Jetzt ist der Aufstieg in die Erste Liga geglückt.