taz.de -- Blackfacing-Spektakel in Bremen: Fest der Reaktion

Während die katholische Kirche ihren Sternsingern vom althergebrachten Rassismus geschwärzter Gesichter abrät, ist es bei der Bremer Eiswette gang und gäbe.
Bild: CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp hat Spaß bei der Bremer Blackfacing-Event-Eiswette

BREMEN taz | Hier ist die Tradition noch intakt, hier fühlt sich die Reaktion noch wohl: Während die katholische Kirche ihren Sternsingern vom althergebrachten Rassismus des Blackfacing abrät, ist das bei der aus dem kolonialistisch-patriotischen Geist bremischer Kaufmänner geborenen Bremer Eiswette gang und gäbe. Den Vorsitz des Spektakels, bei dem Frauen ebenso wenig wie bei dem Eiswettfestessen am dritten Januar-Samstag zugelassen sind, hat seit Jahren der Präses der Handelskammer inne.

Auch der Chef der CDU-Fraktion, Thomas Röwekamp, wirkt kostümiert bei dem Mummenschanz mit, bei dem man sich fröhlich mit dem bei den 1819er-Juden-Pogromen, den [1][Hepp]-Hepp-Ausschreitungen, geprägten Ruf „Hepp! Hepp! Hepp!“ grüßt.

Vergangenen Mittwoch war es wieder so weit, am Punkendeich. Die Kaufmänner hatten 1828 als Stichtag für die Wettfrage, ob die Weser zufriert, den 4. Januar festgelegt: Zum 100-jährigen Jubiläum wurde die Veranstaltung verschoben, auf den 6. Januar, auf Dreikönige.

Das war in der Zeit, als Paul von [2][Lettow-Vorbeck], der gewesene Kommandeur der Schutztruppe von Ostafrika und Dichter des Liedes „[3][Zehn kleine Negerlein]“ Dauergast der Eiswette war und Bremen sich darum bewarb, als Stadt der – verlorenen, aber beileibe nicht aufgegebenen – Kolonien zu gelten. Seither treten drei Darsteller als die Legendenfiguren der heiligen drei Könige aus dem Morgenland auf. Einer wird schwarz geschminkt. Das fanden die Herren lustig.

Damals. Und am vergangenen Mittwoch. Da durfte der Neger in eine Melodika blasen. Die gab einen quäkigen Ton von sich. Das unterstrich noch den komischen Charakter. Sein Kompagnon amüsierte das Publikum mit einer Popsongparodie, die sich ganz milde über Flüchtlinge lustig machte. Einmal in Bremen heimisch geworden, ließen sie sich nicht wieder vertreiben, hieß es da, und Röwekamp hat sie angefahren: „Integrieren sie sich!“ Auch das war selbstredend als Witz zu verstehen.

8 Jan 2016

LINKS

[1] http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&lemid=GH06286
[2] /!ui=tazHH_hamburg_112664/
[3] http://blog.derbraunemob.info/wissenswertes-ueber-das-lied-10-kleine-n-lein/

AUTOREN

Benno Schirrmeister

TAGS

Schwerpunkt Rassismus
Bremen
Kolonialismus
Blackfacing
Kolonialismus
ARD
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Theater

ARTIKEL ZUM THEMA

Bremens koloniales Erbe: Blinder Fleck der Wirtschaft

Bei einer Diskussion in der Kunsthalle wollen die Teilnehmer lieber nicht über die koloniale Verantwortung der hiesigen Wirtschaft sprechen.

Blackfacing in einer ARD-Sendung: Verstehen Sie Rassismus?

Guido Cantz verkleidet sich in „Verstehen Sie Spaß“ als Afrikaner. Ist das lustig oder rassistisch? So viel vorweg: Es geht beides zusammen.

Debatte Rachel Dolezal: Was? Weiß? Ich?

Der Fall einer weißen Frau, die sich als Schwarze ausgibt, entfacht in den USA eine Debatte über Identität. Wer darf eigentlich schwarz sein?

Rassistische Narrative aus Europa: Kants ganz anderer Kontinent

Wenn es um Afrika geht, beruft sich Schengen-Europa auf alte rassistische Erzählungen und Wörter. Eine gerechtere Sprache ist möglich.

Berliner Theatertreffen: Der Einbruch der Realität

Ein Theatertreffen wird politisch: Der Thementag „Say it loud, say it clear!“ zu Flucht und Asylpolitik bietet auch illegalisierten Laiendarstellern eine Bühne.