taz.de -- Personalnot in Hamburger Kliniken: Hilferuf aus dem Krankenhaus

Pflegepersonal an Kliniken zeigt immer häufiger Missstände und Engpässe an. Für die Gewerkschaft Ver.di ein Hinweis auf unhaltbare Zustände.
Bild: Wenn es an Personal mangelt: Gewerkschaft Ver.di hat am Montag einen „Hilferuf aus dem Krankenhaus“ gestartet.

Hamburg taz | Die Gewerkschaft Ver.di hat am Montag einen „Hilferuf aus dem Krankenhaus“ gestartet. „Die Zustände in den Kliniken sind beschämend und sie sind gefährlich“, sagte Sylvia Bühler vom Ver.di-Bundesvorstand bei einer Fachtagung. „Die schlechten Arbeitsbedingungen machen die, die sich um Kranke kümmern, selbst krank.“

Bei der Tagung wurden zwölf anonymisierte Gefährdungsanzeigen von Pflegepersonal aus Hamburger Kliniken vorgelesen. Mit Gefährdungsanzeigen kann das Personal die Klinikleitung auf Missstände und Gefahren aufmerksam machen.

So zeigte etwa eine Krankenschwester an, dass sie in ihrer Nachtschicht auf der Intensivstation wegen akuter Notfälle andere Patienten vernachlässigen musste. Sie habe Routineaufgaben des Nachtdienstes nicht erledigen können und das „ungute Gefühl, nicht alle Patienten im Blick gehabt und vor allem die Neuaufnahmen nicht suffizient versorgt zu haben“.

Aus einer anderen Klinik berichtete eine Krankenschwester: „Station unterbesetzt, Einsatz von Leasingkräften. Die ganze Arbeit bleibt am Stammpersonal hängen: Telefon, Angehörige, Neuaufnahmen, Entlassungen, Notfälle, Erklärungen an die Leasingkräfte, wie hier was gemacht wird jeden Tag aufs Neue. Nur selten kommt eine Leasingkraft, die die Situation kennt.“ Sie „hatte gerade erst Urlaub (…) und fühle mich schon wieder urlaubsreif“.

Aus der Nachtschicht auf einer Kinderstation berichtete eine Schwester, die als Vertretung einspringen musste, dass sie keine Informationen erhalten habe, wen sie anrufe solle, wenn sie Hilfe benötigt. „Es gab nur ungenügende Anordnungen, da ich keine Kinderkrankenschwester bin und auch keinerlei Erfahrung mit kranken Kindern habe, war das für mich eine gefährliche Situation.“

Eine andere Krankenschwester meldete, dass sie an einem Tag neun frisch operierte Patienten betreuen musste. „Desweiteren waren elf andere Patienten übergeben worden. Darunter eine tracheotomierte bettlägrige Patientin, die häufig abgesaugt werden musste. Die anderen Stationen konnten mir nicht helfen, alle waren nur mit einer Schwester besetzt.“

Für Ver.di deuten diese Hilferufe auf unhaltbare Zustände hin. „Die Politik weiß um die dramatischen Engpässe und die damit verbundenen Risiken für Patienten und Beschäftigte“, sagte Bühler. Es sei zynisch, darauf zu setzen, dass es der Markt richten werde. Die Verantwortung, sichere medizinische Versorgung zu gewährleiste, liege bei der Bundesregierung.

Das war auch der Hintergrund der morgendlichen Lesestunde. Denn Montagmittag stand im Petitionsausschuss des Bundestags die Anhörung zu einer Petition für eine gesetzliche Personalbemessung in Kliniken an. Ver.di hatte dafür bundesweit mehr als 180.000 Unterschriften gesammelt. Bundesweit fehlen laut Ver.di nämlich mindestens 70.000 Pflegekräfte – in Hamburg sollen es 4.200 Krankenschwestern und Pfleger zu wenig sein.

1 Dec 2015

AUTOREN

Kai von Appen

TAGS

Klinik
Hamburg
Personal
Krankenhäuser
Gesundheit

ARTIKEL ZUM THEMA

Trostlosigkeit im Krankenhaus: Die Schwester hat eine ruhige Schicht

Krankenhäuser sind wie Inseln ohne Sonnenschein, Palmen und Cocktails. Sie machen einsam. Wie soll man so gesund werden?

Salud y pesetas: Ökonomie bestimmt Medizin

Auf einem Symposium stellen zwei Wissenschaftler ihre Befragung von Klinik-Angestellten vor: Die sagen, wie Gewinnoptimierung PatientInnen gefährdet.

Spurensicherung: Dickes Brett flächendeckende Hilfe

In ganz Schleswig-Holstein sollen Opfer von Gewalttaten anonym Spuren sichern lassen können. Detailfragen sind aber weiterhin ungeklärt.

Psychotherapeutische Versorgung reformiert: Abschied vom Krankenhaus

Die Krankenhäuser wollen mehr Betten für psychisch Kranke, doch der Senat setzt auf eine "integrierte Versorgung". Die ersten Projekte finden Zuspruch.