taz.de -- Kolumne American Pie: Streber gegen Sitzenbleiber

Gleich zum NFL-Auftakt trafen die größten Quarterback-Talente der Liga aufeinander. So verschieden wie ihre Charaktere waren auch ihre Leistungen.
Bild: Musterschüler: Marcus Mariota, hier in einem Preseason-Spiel der Titans.

Die beiden haben viel gemeinsam, aber könnten kaum unterschiedlicher sein. Marcus Mariota und Jameis Winston sind beide Neulinge in der NFL. Beide spielen sie als Quarterbacks auf der prestigeträchtigsten Position, die der Football zu bieten hat, und beide haben im College alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Beide sind sie vorgesehen als Aushängeschild eines Klubs, der zuletzt wenig erfolgreiche Zeiten durchmachen musste. Und beide sind sie erst 21 Jahre alt.

Hier enden die Gemeinsamkeiten allerdings: Mariota pflegt ein Sonnyboy-Image und gilt trotz seines jungen Alters als Vorzeigeprofi, Winston dagegen hat mit Eskapaden in seiner Studentenzeit Zweifel an seinem Charakter genährt.

Nun ergab es der Spielplan der NFL gefiel es, dass dise beiden grundverschiedenen Hoffnungsträger gleich am ersten Spieltag der neuen Saison gegeneinander antreten mussten. Offiziell war es das Aufeinandertreffen der Tampa Bay Buccaneers und der Tennessee Titans, der beiden schlechtesten Mannschaften der vergangenen NFL-Saison. Inoffiziell hieß es: Streber gegen Sitzenbleiber.

Der Streber gewann. Und das deutlich. 42:14 siegten Mariotas Titans, Winston und die Buccaneers hatten nie eine Chance. Noch deutlicher fiel das Duell der beiden Quarterbacks aus: Mariota warf vier Touchdowns, beging keinen schweren Fehler und durfte seinen Arbeitstag bereits nach dem dritten Viertel beenden. Winston dagegen bewies mangelnde Übersicht, schmiss gleich seinen ersten Pass einem Gegner in die Hände und spielte generell wie ein verunsicherter Jungprofi. Es sah ganz so aus, als hätte er Probleme, mit dem Erwartungsdruck umzugehen.

Tampa Bay hatte beim Draft, der alljährlichen, groß inszenierten Talentverteilung im Frühjahr, die erste Wahl gehabt und sich für Winston entschieden, obwohl der während seiner College-Zeit nicht nur durch Ladendiebstahl und obszöne Äußerungen auffällig geworden war, sondern auch wegen einer Vergewaltigung angezeigt wurde, die aber nie vor Gericht kam. Trotzdem bauten die Buccaneers ihn zur Lichtgestalt auf. Finanziell hat sich die Werbekampagne gelohnt: Die Verkäufe des Trikots mit der Nummer Drei von Winston brechen Rekorde, und das Auftaktspiel war nahezu ausverkauft.

Buhkonzert zur Halbzeit

Schon zur Halbzeit allerdings, die Niederlage der Heimmannschaft war so gut wie besiegelt, stimmten die 64.000 ein Buhkonzert an, und lange vor Spielende verließen sie das Stadion. Ein lokaler Fernsehsender filmte die enttäuschten Massen und zeigte Bucs-Fans, die riefen: „Wir haben uns den falschen Quarterback ausgesucht!“

Der richtige spielte – zumindest an diesem einen Tag – auf der anderen Seite. Mariota, beim Draft als Nummer zwei nach Winston ausgewählt, wirkte abgeklärt wie ein alter Hase und sammelte anschließend Lobeshymnen ein. Sein Quarterback-Coach John McNulty hält ihn gar „für den klügsten Football-Spieler, der mir je begegnet ist“. Nur Chefcoach Ken Wisenhunt versuchte den Ball flach zu halten: „Marcus hatte einen guten Tag.“

Ob Tennessee tatsächlich das große Los gezogen und Tampa Bay die falsche Wahl getroffen hat, das wird sich zeigen. Buccaneers-Chefcoach Lovie Smith ist immer noch überzeugt von Winston: „Wir haben den richtigen Quarterback. Das war nur sein erstes Spiel.“ Noch lässt sich kaum prophezeien, wer von den beiden den großen Sprung vom College-Star zum NFL-Profi, an dem schon so viele gescheitert sind, besser bewältigen wird. „Die Welt geht jetzt nicht unter“, sagte Winston nach dem verkorksten Auftakt, „schlechter können wir nicht spielen, es kann nur noch besser werden“. Da ist sich auch sein Widersacher sicher: „Jameis ist wahnsinnig ehrgeizig“, sagte Mariota, „der wird wieder auf die Beine kommen.“

16 Sep 2015

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Thomas Winkler

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