taz.de -- Flüchtlinge in Rom: Hilfe von ganz oben

Im Kulturzentrum Baobab in Rom leben Flüchtlinge, die von Privatpersonen versorgt werden. Vom Staat gibt es keine Hilfe. Aber vom Papst.
Bild: Vor dem Baobab in Rom werden Menschen mit Essensspenden des Roten Kreuzes versorgt.

Es ist neun Uhr abends, eigentlich wollen Sara, Giulia und Celine jetzt nach Hause. Doch die drei kommen nicht weit. Ein etwa vierjähriges afrikanisches Mädchen läuft hinter ihnen her, auf der schmalen Via Cupa in Rom, im Schlepptau ihre kleine Schwester. Die Ältere greift lachend nach Saras Hand, ihre Schwester streckt die Hände aus.

Die Geste ist klar: Sie will in den Arm genommen werden, und sie bekommt ihren Willen. Die drei Teenager machen kehrt, steuern auf das Tor des Flüchtlingszentrums Baobab zu, auf den Pulk von Dutzenden Menschen vor allem aus Eritrea, die auf der Straße oder im Innenhof in Grüppchen auf Kisten sitzen. Schließlich ist die Mutter gefunden, sind die Kleinen abgeliefert – doch nur eine Minute später wiederholt sich das Spiel.

Den vierten Tag in Folge ist sie jetzt im Baobab, erzählt die 14-jährige Sara. Sie will einfach helfen. Gut 400 Flüchtlinge, die meisten aus Eritrea, haben an diesem Tag hier Zuflucht gesucht, und so geht es immer seit dem Frühsommer, in der Spitze drängten sich mehr als 800 Menschen in dem Zentrum, das eigentlich nur gut 150 Personen Schlafplätze bietet. Das Baobab gibt es schon seit Jahren, es entstand als feste Wohnstätte und Kulturzentrum für Flüchtlinge, die in Rom sesshaft wurden, geführt von einer Genossenschaft, in der Eritreer den Ton angeben.

Doch im Sommer 2015 ist alles anders. Tausende von Eritreern kommen nach Italien, die Aufnahmestrukturen sind überfordert. Das Baobab öffnete seine Tore – und das Team veränderte sich. Nie könnten die wenigen Mitarbeiter die Herausforderung allein stemmen, doch spontan fanden sich Dutzende Römer zusammen, die jetzt anpacken. Keine Organisation steht hinter ihnen – sie kommen einfach.

Unterwäsche sortieren und Äpfel schneiden

Andrea Costa ist Glaser, doch jeden Nachmittag findet er sich ein, koordiniert die Freiwilligen. Gerade ist er am Telefon. Vier unbegleitete Minderjährige wollen noch am Abend mit dem Zug Richtung Mailand fahren, er sorgt für einen Kontakt dort, damit sie nicht stranden. „Ich habe jahrelang Politik gemacht, auf der Linken, ich habe auch im Stadtbezirksrat gesessen“, erzählt er, „aber nie hatte ich so wie jetzt den Eindruck, wirklich etwas zu bewegen.“ Sein Gesicht verrät die Müdigkeit, doch seinem Enthusiasmus tut das keinen Abbruch.

Sara, Giulia, Celine waren heute in der Kleiderkammer im Einsatz, haben Unterwäsche sortiert. Täglich bringen Römer Pakete vorbei, mit Bettzeug, Handtüchern, T-Shirts oder Hygieneartikeln. In der Küche steht eine ältere Dame, schneidet Äpfel für den Obstsalat. In riesigen Töpfen kocht die Pasta – auch hier besteht das Team ausschließlich aus Menschen, die einfach anpacken wollen. Einer, der seit Wochen im Baobab im Einsatz ist, ist Raffaele.

Tagsüber steht er am Tresen eines Eisenwarenhandels, abends legt er seine Zusatzschicht bei den Flüchtlingen ein. „Am Anfang waren die Menschen im Viertel misstrauisch“, berichtet er, doch das habe sich gelegt. Mittlerweile bringen auch die Bäcker, die Lebensmittelhändler reichlich Nahrungsmittel. Die Hilfe ist völlig selbst organisiert, es gibt keinen Cent Unterstützung von der Stadt oder vom Staat.

Im Gegenteil: Vor einigen Wochen kündigte die Stadt an, sie wolle das Baobab schließen, „wegen Überfüllung“. Schließlich gibt es um die Ecke ein Rot-Kreuz-Zeltlager. „Aber da will keiner hin, das ist völlig militarisiert“, sagt Andrea. „Bei uns geht es anders. Wir sind keine Profis, aber hier merken die Menschen vor allem eines: dass sie willkommen sind.“ Und verschmitzt lächelnd verweist er auf einen starken Alliierten: Kaum hatte die Stadt die Schließung angedroht, fuhren zwei Lkws voll mit Lebensmitteln vor. Geschickt hatte sie der Papst persönlich.

8 Sep 2015

AUTOREN

Michael Braun

TAGS

Schwerpunkt Flucht
Rom
Eritrea
Italien
Flüchtlinge
Flüchtlinge
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Rassismus
Flüchtlinge
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Flüchtlinge
Schwerpunkt Flucht
Rechte Gewalt

ARTIKEL ZUM THEMA

Altersuntersuchungen bei Flüchtlingen: Sag mir erst, wie alt du bist

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kommen oft ohne Papiere. Der Staat versucht ihr Alter zu schätzen – teilweise mit fatalen Folgen.

Libanese baut Flüchtlingscamp: In Alis Lager

Vor zwei Jahren hat Ali Tafisch auf einem Stück seines Landes ein Flüchtlingslager eingerichtet. Heute leben dort mehr als 300 Menschen.

Aktivistin über Flüchtlingspolitik in GB: „Stolz sein, Leben zu retten“

Lisa Doyle vom britischen Flüchtlingsrat hofft auf ein Umdenken der konservativen Regierung. London sollte mehr Verantwortung übernehmen.

Geflüchtete in Dänemark: Bloß schnell weg

Bespuckt und drangsaliert: Dänemark zeigt, dass Flüchtlinge nicht willkommen sind. Es gibt aber auch private Hilfe.

Flüchtlingshilfe des Bundes: Geld, das woanders nicht fehlen soll

Sechs Milliarden Euro will der Bund 2016 für Flüchtlinge bereitstellen. In der Koalition glaubt man, die Ausgaben mühelos finanzieren zu können.

Flüchtlinge in Ungarn und Griechenland: Handgemenge und Tränengas

In einem Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Röszke gab es Proteste und Rangeleien. Auf Lesbos kam es zu Ausschreitungen zwischen Flüchtlingen und Polizei.

Essay Hilfe für Flüchtlinge: Das große Geben

Zehntausende werden in Deutschland von Helfern mit Applaus begrüßt. Übertriebenes Gutmenschentum? Oder die große Party der Völkerverständigung?

Umfrage zur Toleranz der Berliner: Einwanderer kommen gut an

Eine Umfrage zeigt: Die hohen Flüchtlingszahlen ändern nichts an der Toleranz der Berliner. Es bleibt jedoch am rechten Rand eine gewaltbereite Gruppe.

Geflüchtete an der Grenze zu Serbien: Ungarn hat es eilig

Budapest verschärft seine Gesetze gegen Flüchtlinge. Asylverfahren sollen verkürzt und die Armee soll leichter eingesetzt werden können.

Debatte Rechtsextreme Gewalt: Wut sucht sich leichte Opfer

Gewalt gegen Flüchtlinge hat nur oberflächlich mit Flüchtlingen zu tun: Gastbeitrag des Leiters der JVA Zeithain in Sachsen.