taz.de -- Kommentar Anschläge in Afghanistan: Bomben in der Führungskrise

Die Taliban wollen mit einer Anschlagsserie ihre Stärke beweisen. Schuld an dem Blutvergießen ist auch eine politische Fehlkalkulation.
Bild: Afghanische Demonstranten verbrennen pakistanische Geldscheine, weil Pakistan angeblich mit den Taliban kooperiert.

Die neue Taliban-Führung unter Mullah Achtar Mohammed Mansur [1][lässt die Muskeln spielen]. Hunderte Afghanen müssen das mit ihrem Leben, ihrer Gesundheit oder ihrem Lebensunterhalt bezahlen. Trotz gegenteiliger Beteuerungen haben zivile Opfer die Taliban noch nie besonders gestört, wie neue Zahlen belegen: In ihrem Halbjahresbericht machen die Vereinten Nationen die Taliban und andere Aufständische für 70 Prozent der zivilen Opfer verantwortlich.

Aber auch eine politische Fehlkalkulation hat die jüngste Terrorwelle ausgelöst. Pakistans Führung, die die Taliban seit deren Aufkommen 1994 unterstützt, wollte der Welt (und vor allem der US-Regierung, die ihr im Nacken sitzt) beweisen, dass sie nun Frieden in Afghanistan will. Deshalb hat sie ihren nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Talibanführer geltend gemacht, von denen viele in Pakistan leben, und sie zu Direktgesprächen mit der afghanischen Regierung gezwungen, die sie offiziell immer abgelehnt hatten. Doch obwohl Vertraulichkeit vereinbart gewesen war, machten die Regierungen beider Länder das Treffen publik. Das haben die Taliban übel genommen.

In diese Querelen platzte die Nachricht vom Tod des Talibanführers Mullah Omar, angeblich schon vor zwei Jahren. Im Nachfolgekampf drohte den Taliban die Spaltung. Mit der Anschlagswelle zeigen die Taliban nun, dass sie trotz Führungskrise noch immer hart zuschlagen können. Pakistan musste die nächste Gesprächsrunde absagen. Bis zum Frieden wird es also noch länger dauern.

In Islamabad und Kabul, Washington und Peking ist zu lernen: Friedensgespräche kann man den Taliban nicht aufzwingen. Sie müssen als eigenständiger Akteur behandelt werden, nicht wie Marionetten Pakistans. Die Taliban müssen verstehen, dass Anschläge wie in Kabul ihnen die verbliebenen Restsympathien in Afghanistan kosten – ohne die sie tatsächlich nichts als eine Terrorgruppe sind.

10 Aug 2015

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Thomas Ruttig

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