taz.de -- Wegen möglicher Interessenkonflikte: Polizisten zurückgepfiffen

Hamburgs Innensenator zieht polizeiinternen Ermittler von der Aufklärung der Affäre um die verdeckte Ermittlerin Iris P. ab.
Bild: Verdeckt ermitteln beim selbstverwalteten Radio? Jetzt soll die Hamburger Innenrevision klären, wie das im Fall von Iris P. so lief.

HAMBURG taz | Es gibt Turbulenzen in der Affäre um die verdeckte Ermittlerin Iris P. alias Iris Schneider: Die vom Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Meyer eingesetzte polizeiinterne Ermittlungsgruppe muss ihre Arbeit beenden – wegen möglicher Interessenskollision im Landeskriminalamt (LKA). Auf Weisung von Innensenator Michael Neumann (SPD) übernehmen nun die Disziplinarabteilung der Hamburger Polizei und die Innenrevision der Innenbehörde die Aufklärung.

„Die Leute, die heute zur Aufarbeitung beitragen, haben damals zwar keine Verantwortung getragen“, sagte Neumann am Montagabend in der Sitzung des Innenausschusses. Dennoch könne es zu „interpersonellen Konflikten“ innerhalb des LKA kommen. Iris P. war von 2001 bis 2006 als verdeckte Ermittlerin (VE) in der linken Szene um das autonome Zentrum „Rote Flora“ und beim Radio „Freies Sender Kombinat“ (FSK) eingesetzt.

Die heute 42-Jährige hat laut Polizeipräsident Meyer in einer schriftlichen Einlassung eingeräumt, dass sie sich als sogenannte Beamtin zu Lagebeurteilung in der queer-feministischen Szene in der FSK-Redaktionen aufgehalten und für die Sendungen „Female Machos“, „u-turn queer“ und „Re(h)v(v)o(l)lte Radio“ gearbeitet habe.

Sie habe Privatwohnungen betreten, Feten besucht und an Ausflügen zur Aufrechterhaltung ihrer Iris-Schneider-Legende teilgenommen. Dieses Vorgehen sei mit ihren „VE-Führern“, wie sie schreibt, abgesprochen gewesen. Sie habe stets über die privaten Treffen berichtet und diese dokumentiert.

Mit dieser Aussage widerspricht Iris P. der bisherigen Version der Polizei, wonach Vorgesetzte und die „VE-Führer“ das Engagement im FSK weder angeordnet noch etwas davon gewusst haben wollen. „Wir müssen weiter ermitteln: Wer sagt hier die Wahrheit?“, sagte Neumann im Innenausschuss. Es stehe Aussage gegen Aussage – der eklatante Widerspruch müsse aufgelöst werden. „Falsche Kameraderie“ wäre jetzt nicht der richtige Weg, denn seine Behörde habe ein Interesse daran, die Angelegenheit aufzuklären.

Es sei daher sinnvoll, dass sich die Disziplinarabteilung der Polizei mit der Sache befasse, „die mit möglichen Falschaussagen Erfahrungen hat“, sagte Neumann. Die Innenrevision solle zudem prüfen, ob die damaligen Verbindungsleute von Iris P. ihre „Beratungs- und Unterstützungspflichten verletzt haben“.

Seit der Enttarnung des verdeckten Ermittlers mit dem Decknamen „Stefan“, der 1999 in der Hamburger Flüchtlings-Unterstützerszene gespitzelt hatte und dies beinahe zum Bruch der damaligen rot-grünen Koalition geführt hätte, ist laut mehrerer Rechtsexpertisen klar, dass Beamte zu Lagebeurteilung, wie auch Iris P. eine war, keine Wohnungen betreten dürfen. Neumann sicherte zu, die Ermittlungsberichte beider Abteilungen im August dem Innenausschuss vorzulegen.

„Die Innenrevision einzuschalten, ist schon ein immenser Schritt“, sagte Christiane Schneider (Linke). „Aber wir brauchen dennoch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um alle Aspekte auszuarbeiten und grundsätzlich die Zulässigkeit des Einsatzes von Beamten zur Lagebeurteilung zu klären.“

16 Jun 2015

AUTOREN

Kai von Appen

TAGS

Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Polizei
Einsatz
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Rote Flora
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Psychoanalyse
Verdeckte Ermittlerin
Hamburg
Oper
Rote Flora
Bundesgerichtshof
Stuxnet

ARTIKEL ZUM THEMA

Verdeckte Ermittler in Hamburg: Die Polizei außer Rand und Band

In Hamburgs linker Szene ist die dritte Polizeispitzelin in eineinhalb Jahren aufgeflogen. Was rechtfertigt eigentlich diesen Aufwand?

Dritte verdeckte Ermittlerin in Hamburg: Falsches Spiel mit falschen Haaren

In der Hamburger linken Szene ist eine weitere verdeckte Polizistin enttarnt worden. Sie soll sich über Jugendprojekte eingeschleust haben.

Ermittlungen gegen Ermittlerin: Überstunden auf Mallorca

Gegen die verdeckte Hamburger Ermittlerin Iris P. und zwei Vorgesetzte sind Ermittlungen eingeleitet worden. Es geht um Liebesbeziehungen und Urlaubsreisen.

Die Psyche einer Spitzelin: „Hier die Guten, dort die Bösen“

Wie Schauspieler schlüpfen sie in Rollen, tun auch Dinge, die sie ablehnen. Spitzel müssen spalten können, sagt die Psychoanalytikerin Iris Schipkowski.

Bis ins intimste Detail ausspioniert: „Eine Freundschaft, die es nie gab“

Was ist das für ein Gefühl, wenn rauskommt, dass man jahrelang eine Spitzelin getroffen hat? Über eine vermeintliche Freundschaft mit Maria B.

Verdeckte Ermittlerin aufgeflogen: Folgenschwer abgelichtet

Maria Block, Ermittlerin in der linken Szene Hamburgs, wurde enttarnt. Die Frau war auf dem Cover eines Polizeimagazins entdeckt worden.

Oper in der Roten Flora: Das Phantom darf doch rein

Nach 25 Jahren Besetzung wurde die Rote Flora zur Bühne für eine Operninszenierung. Von einer linksradikalen Kritik ist das weit entfernt.

Undercover-Einsatz in Hamburg: „Iris“ ergreift die Flucht nach vorn

Nun ist klar: Der Einsatz der verdeckten Ermittlerin „Iris Schneider“ in linker Szene war von Polizei gesteuert. Anderes bleibt ungewiss.

Urteil des Bundesgerichtshofs: Lockspitzel als Verfahrenshindernis

Wenn der Staat Bürger zu Straftaten anstiftet, kann das Verfahren eingestellt werden. Der BGH ändert die bisherige Rechtsprechung.

Spionage-Software im weltweiten Einsatz: „Regin“ spitzelte unentdeckt

In einer Liga mit „Stuxnet“: So wird die Spähsoftware „Regin“ beschrieben. Sie greife vor allem Telekom- Netze an. Dahinter müssten staatliche Stellen stecken.