taz.de -- ANGST VOR ABSCHIEBUNG: Suizid mit Vorzeichen

Der 25-jährige georgische Flüchtling David M., der sich in einer Krankenzelle in Hamburg erhängte, war vom Anstaltspsychologen zunächst als labiler eingestuft worden, als bisher zugegeben wurde.
Bild: Ein Gefangerner in der Jugendstrafanstalt Hahnöfersand

Der Suizid des georgischen Flüchtlings David M. kann für die Gefängnismitarbeiter nicht ganz so überraschend gekommen sein wie bisher angenommen. "Nach einem Gespräch mit dem zuständigen Psychologen konnte von diesem eine mögliche Selbstverletzung oder -tötung zunächst nicht ausgeschlossen werden", heißt es in einer Antwort des Hamburger Senats auf eine Anfrage der oppositionellen SPD-Fraktion. Nach dem Gespräch seien "vorsorglich besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet" und David M. "engmaschig ärztlich betreut" worden.

Bisher hatte es aus der grün geführten Justizbehörde nur geheißen, dass bei den Gesprächen mit David M. "keine Suizidabsichten zu erkennen" gewesen seien. Das jetzt zugegebene Gespräch, in dem der Anstaltspsychologe zu einem anderen Schluss kam, wurde am 17. Februar in der Jugendvollzugsanstalt Hahnöfersand geführt - acht Tage nach der Einlieferung von David M. und einen Tag, nachdem er angekündigt hatte, in den Hungerstreik zu treten. Am 20. Februar aß David M. gegen Abend "vier Scheiben Brot", vom 21. Februar an nahm er keine feste Nahrung mehr zu sich - bis einen Tag vor seinem Tod.

Die Frage ist nun, wie es dazu kommen konnte, dass die Suizidgefahr nicht mehr gesehen wurde. "Wir schauen uns die Prozesse nochmal genauer an", sagt die Sprecherin der Justizbehörde. Der Eindruck der Gefängnismitarbeiter sei gewesen, dass sich der Zustand von David M. "stabilisiert" habe. Dass es sich dabei um eine Fehleinschätzung gehandelt habe, sei nicht gesagt. "Leider gibt es ja Fälle, wo die Leute stabil sind, und dann bringen sie sich trotzdem um", so die Sprecherin.

Der grüne Justizsenator Till Steffen stellte sich gestern hinter die Gefängnismitarbeiter: Ihnen sei "nach derzeitigem Erkenntnisstand" kein Vorwurf zu machen. "Sie haben sich intensiv um David M. gekümmert, sind immer wieder auf ihn zugegangen und haben viele Gespräche mit ihm geführt."

Zu dem Schluss, dass David M. stabil sei, kam offenbar derselbe Anstaltspsychologe, der zunächst eine Suizidgefahr nicht hatte ausschließen wollen. Bis zum 25. Februar, als David. M. ins Zentralkrankenhaus des Untersuchungsgefängnisses gebracht wurde, führte der Psychologe fünf weitere Gespräche mit dem Flüchtling, der sich, wie es heißt, "in einfachem Englisch" habe verständigen können. Mit der Einlieferung ins Krankenhaus seien die "besonderen Sicherheitsvorkehrungen" - die Verlegung in eine gesicherte Zelle sowie nächtliche Kontrollen im 15-Minuten-Takt - aufgehoben worden. Die Einlieferung ins Krankenhaus sei "allein wegen der gesundheitlichen Auswirkungen des Hungerstreiks" erfolgt. Als sich David M. nach zehn Tagen Krankenhaus mit einem Bettlaken erhängte, war seine Krankenzelle ebenfalls videoüberwacht. Die Überwachung werde dort aber "nicht so streng" gehandhabt, wie die Justizbehörde mitteilt. Gegen 15.50 Uhr war David M. zuletzt lebend auf dem Monitor gesehen worden. Um 16.15 Uhr fanden ihn Gefängnismitarbeiter tot in seiner Zelle.

Zwei Tage später, am 9. März, hätte David M. nach Polen "zurückgeschoben" werden sollen, wo er schon vor seiner Einreise nach Deutschland Asyl beantragt hatte. Das entsprechende Schreiben der Ausländerbehörde lag dem Untersuchungsgefängnis vor. Doch David M. wusste nichts von dem Termin - obwohl es im Krankenhaus eine russisch sprechende Ausländerberaterin gab, die sich unter der Woche täglich mit ihm unterhielt. "Diese Anordnung war Herrn M. nicht bekannt", heißt es in der Senatsantwort.

In den vergangenen zehn Jahren hat es in Hamburger Abschiebehaft 23 Suizidversuche gegeben. Das erklärte der Senat auf eine Anfrage des Linkspartei-Abgeordneten Mehmet Yildiz. Der Leichnam von David M. ist derzeit noch bei der Gerichtsmedizin im Universitätskrankenhaus Eppendorf. Die dortigen Untersuchungen seien "noch nicht abgeschlossen", heißt es in der Senatsantwort. Was danach mit dem Leichnam geschieht, ist noch nicht heraus.

18 Mar 2010

AUTOREN

Daniel Wiese

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