taz.de -- Massaker von Srebrenica: Halbherzige Entschuldigung

Nach hitzigen Debatten verabschiedet das Parlament eine Resolution zu dem Massaker an rund 8.000 Muslimen in Srebrenica im Juli 1995. Das Wort Genozid fehlt.
Bild: Gedenkplatte für das Massaker von Srebrenica.

Nach einer dreizehnstündigen heftigen Debatte stimmten in der Nacht auf Mittwoch 127 von 250 Abgeordneten im serbischen Parlament für eine Deklaration über das Massaker Srebrenica im Jahre 1995. Die knappe Mehrheit zeigte erneut, wie gespalten Serbien im Umgang mit der Vergangenheit ist. Nicht einmal in der "proeuropäischen" Koalitionsregierung war man sich über den Inhalt der Deklaration einig, die Verhandlungen darüber dauerten mehrere Monate.

Im Westen ist es unumstritten, dass im Juli 1995 in Srebrenica ein Völkermord verübt wurde. Auch der Internationale Gerichtshof IGH bezeichnete das geplante Töten von rund 8.000 gefangenen muslimischen Jungen und Männern in seinem Urteil als "Genozid".

In Serbien sieht man das jedoch anders. Um überhaupt eine Mehrheit für die Deklaration sichern zu können, kam im Endeffekt ein verwässerter Text zur Abstimmung ins Parlament, in dem das Wort "Genozid" nicht explizit erwähnt wird. Stattdessen wird das an der bosniakischen Bevölkerung in Srebrenica begangene Verbrechen "schärfstens" verurteilt, "so, wie es der IGH festgestellt hat". Laut der Deklaration wird von anderen Teilrepubliken Exjugoslawiens ebenfalls erwartet, die an Serben begangenen Verbrechen zu verurteilen. In der Deklaration werden "Mitleid" für die Angehörigen der Opfer und die "Entschuldigung" geäußert, dass Serbien nicht "alles" getan hätte, um die "Tragödie" zu verhindern.

Noch bevor die Deklaration am Dienstag auf die Tagesordnung des Parlaments kam, hatte sie ihr eigentliches Ziel schon verfehlt: Ohne Wenn und Aber Reue für das grauenhafteste Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa und Mitleid für die Angehörigen der Opfer zu zeigen sowie die Bereitschaft, sich endlich mit der Vergangenheit auseinandersetzen zu wollen.

Stattdessen entflammte vor der Abstimmung eine heftige Diskussion darüber, ob es sich überhaupt um einen Genozid gehandelt habe oder "nur" um ein "schlimmes" Verbrechen, ob die Anzahl der Getöteten stimme oder "übertrieben" sei. Ob man nicht gleich "alle" im jugoslawischen Krieg begangenen Verbrechen verurteilen solle, anstatt "nur" dieses eine, das für das serbische Volk "beschämend" sei. Ein liberaler Abgeordneter meinte, dass weder die serbische politische Elite noch das Volk reif für diese Deklaration sei.

Seit der demokratischen Wende vor einem Jahrzehnt kritisieren serbische Nichtregierungsorganisationen die Staatsmacht. Serbien könne sich nicht von der Geschichte loslösen und vorankommen, weil es die eigene Verantwortung für die Verbrechen in den 90er-Jahren totschweige. Doch diese einsamen Stimmen, die sich für eine systematische Vergangenheitsbewältigung in Serbien einsetzten, konnten sich kein Gehör verschaffen. Daran sollte die von Staatschef Boris Tadic angeregte "Deklaration über Srebrenica" etwas ändern. Doch nach der hitzigen Parlamentssitzung bezweifeln das viele.

1 Apr 2010

AUTOREN

Andrej Ivanji

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