taz.de -- Futurist zu "Augmented Reality": "Gläserne Menschen für alle"

Der Futurist Max Celko sieht in "Augmented Reality" (AR) eine Welt, in der das Netz mit der Offline-Welt verschmilzt. Suchmaschinen können schon heute Menschen und Dinge erkennen. Und dann noch: Cybersex.
Bild: Spielerisch genutzt: <a href="http://upcoming.org/event/5689821">Augmented Reality Flashmob</a> am 24.4.2010 in Amsterdam.

taz: Virtuelle und reale Welt verschmelzen allmählich. Freuen Sie sich auf diese Zukunft?

Max Celko: Ja klar, das wird spannend. Die Menschheit und die Technik entwickeln sich doch in eine gute Richtung.

In einem möglichen Szenario kann man in der Augmented Reality künftig Kommentare zu wildfremden Menschen schreiben, die man auf der Straße sieht. Der Nächste bekommt sie dann auf seinem Handy eingeblendet. Dann taggen mich fremde Leute mit „doof“ und jeder kann es lesen?

Das ist doch schon jetzt so. Auf Facebook können Sie auch schreiben, dass ich doof sei. Künftig sind die Kommentare eben virtuell direkt an den Körper geheftet und wer es will, kann sich alles aus dem Netz anzeigen lassen und mit ihnen verknüpft lesen. Das selbe System wird einfach in eine neue Dimension übertragen.

Niemand muss auf Facebook ein Konto eröffnen. Künftig allerdings könnte im öffentlichen Raum jeder ein kommentierbares Objekt sein, ohne eigene Kontrolle.

Es wird sicherlich möglich sein, dass sie Tags über sich wieder löschen oder irgendwie kontrollieren können. Vielleicht können Sie sich dem auch ganz entziehen. Aber der soziale Druck, die neuen Technik zu nutzen, wird genauso hoch sein, wie heute ein Handy zu haben oder E-Mails zu schreiben.

Hören wir mal auf zu spekulieren, wie weit ist die Technik?

Für Handys gibt es bereit gut entwickelte Anwendungen wie der Browser Layar: Sie filmen die Umgebung und auf dem Bildschirm blendet das Programm Informationen darüber ein. Manche Anwendungen sind sehr praktisch, wie Wikitude: Man fokussiert ein Objekt mit der Kamera im Handy und bekommt einen Link zu Wikipedia, falls es dort Informationen dazu gibt. Aber niemand rennt den ganzen Tag mit ausgestreckter Hand herum und schaut auf sein Display. Die Zukunft gehört Brillen mit eingebauten Bildschirmen. Als Zukunftsvision sind auch Augmented Reality Kontaktlinsen denkbar.

Ist es technisch möglich mit meiner Handykamera Menschen zu filmen, die anhand von Bildern im Internet identifiziert werden? Trotz neuer Frisur oder Bart?

Das Programm Augmented ID zum Beispiel funktioniert bereits relativ gut, sobald sie in einem Raum sind und nicht zu weit entfernt von einer Person.

Muss hier nicht dringend eine Reglementierung zum Schutz der Privatsphäre her?

Das wird nicht funktionieren, das wissen Sie doch. So war es bisher immer. Außerdem können Sie jetzt schon jeden Namen googeln. Bei Gesichter wird es genauso sein.

Müssen wir Privatsphäre aufgeben?

Was Privatsphäre noch bedeutet, ist ein zentrales Thema. Brauchen wir Privatsphäre in Zukunft überhaupt noch? In welcher Form? Der Begriff muss sicher neu definiert werden. Vielleicht werden wir künftig in der Öffentlichkeit für jedermann gläserne Menschen sein. Auf jeden Fall werden wir weniger privat sein, je weiter die Technik fortschreitet. Die Entwicklung kann niemand aufhalten.

Wo sind wir denn in 10 Jahren?

Die Handy-basierten Systeme werden weit verbreitet sein. Auch AR-Brillen werden in räumlich begrenzten Gebieten Anwendung finden. Orientierung wird die wichtigste Anwendung sein, etwa virtuelle Wegweiser oder Zusatzinfos an Bushaltestellen oder Gebäuden. Dazu kommt natürlich der Unterhaltungseffekt - etwa in Form von AR-Spielen, kombiniert mit den Funktionen aus sozialen Netzwerken.

Und Cybersex?

Sex-Anwendungen liegen auf der Hand. Statt Bilder werden sie eine virtuelle Person in ihrer Wohnung sehen. Berühren können Sie die nicht, aber die Illusion wird größer.

Mal ehrlich, die Menschen werden durchdrehen und Ruhe einfordern.

Das kann schon sein. Aber durch Technik können wir auch eine neue Form der Spiritualität erlangen. Im sogenannten Biofeedback misst man schon heute Emotionen in Form von Hautwiderstand, Puls oder Gehirnströmen. Einige Leute nutze das beim Joga, da werden dann Gehirnströme je nach Meditationszustand visualisiert. Man muss das eben vernetzen.

Das Ende der Privatsphäre und Online-Religiosität klingen eher zum Fürchten, woher ihr Optimismus?

Jetzt denken Sie doch mal an die positiven Effekte! Im Internet haben sie heute Interessengemeinschaften, die sich dort in einer grenzenlosen Form vernetzen. Künftig wird es Wahrnehmungsgemeinschaften geben. Wenn Sie heute ein Punk sind, dann kleiden Sie sich wie ein Punk. Als Businessmensch wie ein Businessmensch. Menschen mit gleichen Interessen werden künftig zusätzlich die Umwelt gleich wahrnehmen.

Sie glauben, Punks werden AR-Brillen aufziehen?

Klar. Die haben sich doch auch Handys gekauft.

27 Apr 2010

AUTOREN

Ingo Arzt

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Schwerpunkt Überwachung
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