taz.de -- Umstrittenes Buch des Bundesbankers: Proteste gegen Sarrazin-Präsentation

Bei der Präsentation seines Buches relativierte Bundesbanker Sarrazin seine These eines angeblichen Juden-Gens. Die Bundesregierung macht dennoch Druck auf die Bundesbank.
Bild: Holte sich Rückendeckung von der Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek: Thilo Sarrazin.

BERLIN apn / dpa/ rts | Trotz wachsenden Drucks von allen Seiten hat der umstrittene Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin (SPD) seine Thesen zur Integration verteidigt. "Ich lade alle ein, Unstimmigkeiten in meiner Analyse zu finden", sagte der frühere Berliner Finanzsenator am Montag bei der Vorstellung seines Buches "Deutschland schafft sich ab" in Berlin. Das werde aber nicht einfach sein.

Das SPD-Präsidium beschloss ein Parteiordnungsverfahren mit dem Ziel, den 65-Jährigen auszuschließen. Darüber muss noch der Parteivorstand entscheiden. Aus Sicht der Bundesregierung beschädigt Sarrazin das Ansehen der Bundesbank. "Die Bundesbank muss sich da natürlich jetzt Gedanken machen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Diese ließ am Nachmittag verlauten, sie distanziere sich zwar von Äußerungen ihres Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin, wolle aber vorerst auf einen Abwahlantrag verzichten. Stattdessen werde unverzüglich ein Gespräch zwischen dem Vorstand und Sarrazin stattfinden. Dies beschloss der sechsköpfige Vorstand der Notenbank am Montag in Frankfurt. Zuletzt hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der Bundesbank eine Diskussion der Personalie nahegelegt.

Die türkischstämmige Sozialwissenschaftlerin Neclá Kelek, die das Buch vorstellte, nahm Sarrazin dagegen in Schutz. "Hier hat ein verantwortungsvoller Bürger bittere Wahrheiten drastisch ausgesprochen und sich um Deutschland einen Kopf gemacht", sagte Kelek. "Um diesen Kopf soll Thilo Sarrazin offensichtlich jetzt kürzer gemacht werden."

Sarrazin selbst will Posten und Parteibuch behalten. "Ich bin in einer Volkspartei und werde in einer Volkspartei bleiben, weil ich meine, dass diese Themen in eine Volkspartei gehören", sagte er vor Journalisten aus dem In- und Ausland. Er gehe auch davon aus, dass er noch in einem Jahr im Bundesbankvorstand sitzen werde. "Natürlich kenne ich meinen Dienstvertrag, und ein Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank, und auch ein Bundesbankvorstand, hat wie jeder andere Bürger das Recht, auf Gebieten, die nicht seinem dienstlichen Obliegenheitenkreis gehören, sich frei zu äußern."

Sarrazin bekräftige seine Warnung, dass die Deutschen wegen der niedrigen Geburtenrate zu "Fremden im eigenen Land" werden könnten und warf Einwanderern aus muslimischen Ländern mangelnde Integration vor. "Dafür ist die Herkunft aus der islamischen Kultur verantwortlich", sagte er. Er forderte höhere Hürden für Einwanderer und größeren Druck auf Ausländer in Deutschland. Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies er indirekt zurück. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Merkel das Zeitbudget hat, dass sie schon meine 464 Seiten gelesen hat."

Während Sarrazin sprach, protestierten vor der Tür etwa 150 Menschen. Der Ökonom wiederholte auch seine umstrittene Aussage vom Wochenende über das Erbgut von Juden und Basken. "Neue Untersuchungen offenbaren die gemeinsamen genetischen Wurzeln der heute lebenden Juden. Das ist ein Faktum." Daraus ergäben sich aber weder negative noch positive Zuschreibungen. An die Adresse seiner Kritiker sagte Sarrazin: "Einigen passt nicht, dass ich mit meinem Buch an der Debatte teilnehme. Offenbar gibt es den Versuch einer gewissen bürgerlichen Hinrichtung aus gewissen Ecken."

Der frühere Vize-Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, warf Sarrazin unhaltbare Verallgemeinerungen vor. "Man kann den Menschen nicht auf sein Erbgut allein reduzieren." Es gehe vor allem um das Wie der Äußerungen Sarrazins. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Ayyub Axel Köhler, nannte den "Inbegriff des hässlichen Deutschen". "Er hat dem Ruf unseres Landes mit seinen rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen schweren und nachhaltigen Schaden zugefügt", sagte Köhler.

Sarrazin relativierte diese Äußerung am Montag: Als er gesagt habe, alle Juden teilten ein bestimmtes Gen, habe er sich nicht präzise ausgedrückt. "Ich bezog mich mit meiner Äußerung – wegen der Interviewsituation leider verkürzt – auf neuere Forschungen aus den USA. Ich bin kein Genetiker. Aber ich habe zur Kenntnis genommen: Aktuelle Studien legen nahe, dass es in höherem Maße gemeinsame genetische Wurzeln heute lebender Juden gibt, als man bisher für möglich hielt."

Damit sei keinerlei Werturteil verbunden und auch nichts über eine wie auch immer zu verstehende „jüdische Identität“ ausgesagt. Die Frage, was aus möglichen genetischen Übereinstimmungen von Bevölkerungsgruppen zu schließen sei, sei vollkommen offen. Entscheidend für politische und wirtschaftliche Sachverhalte, die im Zentrum seines Buches stünden, seien kulturelle Faktoren.

Gegen einen Parteiausschluss Sarrazins regt sich nun auch Widerspruch in der SPD selbst: "Volksparteien müssen sich auch unangenehmen, auch lästigen, auch ärgerlichen Thesen stellen", sagte der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD). "Da muss man miteinander ringen, da muss man sich auch fetzen", sagte Buschkowsky am Montag dem Fernsehsender Phoenix. "So einfach zu sagen, mit dem reden wir nicht mehr, das halte ich für falsch, weil diese Themen die Bevölkerung bewegen. Man muss sich dann nicht wundern, wenn die Haiders und die Wilders entstehen."

Buschkowsky kritisierte allerdings die Zuspitzungen in Sarrazins Buch. Die angesprochenen Probleme seien tatsächlich alle vorhanden und richtig beschrieben, aber mit derartigen Polarisierungen befördere man nicht den Diskurs, sondern reiße weitere Gräben auf und bediene Ausländerhass. "Ich habe Zweifel, dass das Buch für Integrationspolitik förderlich ist." Man sollte "nicht die Menschen beschimpfen, sondern der Integrationspolitik Beine machen".

30 Aug 2010

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