taz.de -- Präsidentschaftswahlen im Karibikstaat: Haitianische Vetternwirtschaft

Haiti kommt nicht zur Ruhe: Experten beklagen Wahlbetrug zugunsten Jude Célestins. Er ist der Schwiegersohn des noch amtierenden Präsidenten.
Bild: Hat gut Lachen - noch: Jude Célestin wird von internationaler Seite Wahlbetrug vorgeworfen.

SANTO DOMINGO taz | Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat dem haitianischen Provisorischen Wahlrat den Ausschluss des Kandidaten der Regierungspartei, Jude Célestin, empfohlen.

Bei der Überprüfung der Stimmzettel vom 28. November habe es zahlreiche Beweise für einen Wahlbetrug zugunsten des Schwiegersohns von Staatspräsident René Préval gegeben, heißt es in dem unter Verschluss gehaltenen Bericht der OAS. "Die Expertenmission hat festgestellt, dass sie das vorläufige Ergebnis der Präsidentschaftswahl nicht unterstützt", zitiert der Miami Herald aus dem diplomatisch formulierten Papier.

In der Empfehlung heißt es weiter, dass an Stelle des 48-jährigen Célestin, der für die Regierungspartei Inité (Einheit in Kreyól) angetreten war, der Musiker Michel Martelly, "Sweet Micky", gegen die Erstplatzierte, Mirlande Manigat, bei einer Stichwahl kandidieren soll. Nach der erneuten Auszählung gehen die zehn unabhängigen Wahlbeobachter davon aus, dass auf die ehemalige First Lady Haitis, Manigat, 31,6 Prozent der Stimmen entfielen, Kompa-Sänger "Sweet Micky" hat danach 22,2 Prozent erreicht und Jude Célestin liegt mit knapp 21,9 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz.

"Der Provisorische Wahlrat hat keinen OAS-Bericht erhalten", betonte dagegen deren Generaldirektor Pierre-Louis Opont im haitianischen Rundfunksender Radio Kiskeya. Auf einer Pressekonferenz am Montag sagte Staatspräsident René Préval: "Ich kann nichts zu der Empfehlung sagen, weil ich sie nicht gelesen habe. Ich habe sie nicht in meinen Händen." Letztlich liegt es aber an Préval, wie es weitergeht. Er hat den Wahlrat, der die Empfehlung der OAS annehmen oder ablehnen muss, ausgewählt. Ein westlicher UN-Diplomat, der nicht namentlich zitiert wird, sagte Radio Kikeya. "Es wird sehr schwer für Präsident Préval, diese Empfehlung zu ignorieren."

Mit dem eher blassen Schwiegersohn Célestin im Amt erhoffte sich der 67-jährige Agrarwissenschaftler weiterhin Einfluss auf die haitianische Politik und Immunität gegen eine Anklage wegen Korruption. Wenn er an dem bisherigen Abstimmungsergebnis festhält, bei der Célestin gegen Mirlande Manigat antritt, wird nicht nur die Opposition ihre Anhänger mobilisieren.

Préval wird die eh schon geringe internationale Unterstützung verlieren. Akzeptiert er aber die OAS-Empfehlung, werden ihm seine Gefolgsleute die Freundschaft kündigen. In diplomatischen Kreisen werden schon andere Szenarien diskutiert. Préval übergibt am 7. Februar sein Amt und setzt eine Übergangsregierung ein, die Neuwahlen anberaumt. Er selbst geht ins Ausland. Angeblich hat seine Frau in Brasilien ein repräsentatives Anwesen gekauft.

12 Jan 2011

AUTOREN

Dillmann

ARTIKEL ZUM THEMA

Gewalt gegen Frauen in Haiti: Mit der Rasierklinge durch die Zeltwand

In den nach dem Erdbeben eingerichteten Notunterkünften werden Tausende Frauen vergewaltigt. Ermittlungen der Polizei haben die Täter meist nicht zu fürchten.

Trotz Kritik vom UN-Sicherheitsrat: Haitis Wahlrat bleibt stur

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl wird nicht korrigiert. Es bleibt bei einer Stichwahl zwischen Mirlande Manigat und Regierungskandidat Jude Célestin.

25 Jahren Exil wieder in Haiti: Jetzt auch noch Baby Doc

Nach 25 Jahren im französischen Exil ist Exdiktator Jean-Claude Duvalier zurückgekehrt - zunächst nur für ein paar Tage. Was er dort will, blieb zunächst unklar.

Das Jahr nach dem Erdbeben von Haiti: Verpasste Chancen

Nach dem Erdbeben vom 12. Januar 2010 flossen Spenden, viele Helfer kamen nach Haiti. Die Hilfsmaschinerie lief schnell an, stagniert aber. Ansprechpartner fehlen.

Streit um Präsidentschaft in Haiti: Wahltermin ist nicht zu halten

Haitis Wahlrat will die Stichwahl verschieben. Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs liegen noch nicht vor. Die Opposition vermutet bewusste Verzögerung.

Selbsthilfe in haitianischen Zeltstädten: Ein bisschen Sternenglanz

Es mangelt an allem, überall. Nun haben die leidgeprüften Bewohner der Hilfscamps auf Haiti selbst die Initiative ergriffen. Mit Kreativität und Engagement.

Proteste gegen Wahlergebnis in Haiti: "Wir werden das Land blockieren"

In Haiti ist es nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse zu schweren Ausschreitungen gekommen. Das Hauptquartier der Regierungspartei wurde angezündet, Schüsse waren zu hören.