taz.de -- Eine Südsudanesin wählt: Kinderhure oder gar nichts
Die 15-jährige Mary verdient im Gubri-Bordell in Südsudans Hauptstadt Juba viel Geld. So wie andere Kinderprostituierte. Die Alternative wäre, auf der Straße zu leben.
Ein besoffener Mann kommt aus dem Bordell. Er stolpert fast über eine Ziege, die auf dem Müllhaufen am Eingang ein Kondom frisst. "Die Mädchen drinnen sind jung. So mag ich sie", sagt der Mann und wackelt davon.
Die meisten Prostituierten im Gubri-Bordell am Rande von Juba sind zwischen 10 und 16 Jahre alt. "Ich lebte auf der Straße", erzählt die 15-jährige Mary. "Dort wird man sowieso vergewaltigt. Es ist doch besser, mich selber anzubieten und damit Geld zu verdienen, sodass ich Essen und Kleider kaufen kann."
Mary ist eines der erfolgreichsten Mädchen des Bordells: Sie verdient bis zu 1.000 Euro im Monat, ein sagenhafter Reichtum im bitterarmen Südsudan. "Nicht nur hier", erklärt sie. "Ich suche auch Kunden in den Hotels, wo Ausländer wohnen. Die zahlen gut."
Die meisten Kinderprostituierten Südsudans sind ehemalige Straßenkinder. Sie kommen aus kaputten Familien. Die Väter sind tot oder kriegsversehrt und können nicht für ihre Familie sorgen. Viele Menschen in Südsudan sind, traumatisiert durch den 22-jährigen Krieg, zu Alkoholikern geworden. Geld, Eigentum und selbst Häuser wurden für Schnaps verkauft. Kinder wurden zum Betteln auf die Straße geschickt und mussten für sich selbst sorgen.
Das Gubri-Bordell gehört einem südsudanesischen Soldaten und wird von seiner Freundin geführt. Das Gebäude besteht aus Wellblech. Die Zimmerchen sind kaum größer als die Betten darin. Sie kosten rund 10 Euro pro Nacht. "Eine schnelle Nummer kostet hier durchschnittlich 3 Euro", erzählt Mary.
Cathy Groenendijk, Uganderin mit niederländischem Ehemann, will die Mädchen aus der Prostitution holen. Wenn sie in Gubri herumläuft, stürmen die Mädchen auf sie zu, umarmen sie und nennen sie Mutti. "Das Problem ist zu groß für mich", gesteht Groenendijk. "Die Mädchen sind so gewöhnt an ihr Leben hier. Es ist sehr schwierig, sie hier herauszubekommen. Ich kümmere mich jetzt nur noch um die allerkleinsten Straßenkinder, da gibt es noch eine Chance", sagt sie. Ungefähr 160 internationale Hilfsorganisationen gibt es in Südsudan. Nur zwei kümmern sich um Straßenkinder und Kinderprostitution.
Am 9. Juli wird Südsudan voraussichtlich ein unabhängiger Staat. Das Sozialministerium in Juba hat, wie die meisten anderen Ministerien, nur ein sehr kleines Budget. Südsudan hat aber im vergangenen Jahr 8 Milliarden Euro am Ölexport verdient. "Ungefähr 75 Prozent unserer Einkommen gehen für Gehälter drauf", sagt Anne Itto, stellvertretende Generalsekretärin der regierenden Exguerilla SPLM (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung). Und davon gehe ein Großteil an Armee und Polizei. "Sicherheit hat Priorität", sagt sie. "Sonst würden wir jetzt nicht am Vorabend unserer Unabhängigkeit stehen."
Auch wenn Südsudan unabhängig ist, gibt die Ministerin zu, werden ausländische Organisationen für den Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern zuständig bleiben. Die Regierung hat auch kein Geld, um sich um die vielen körperbehinderten Kriegsopfer zu kümmern; nach Schätzungen sind es rund 15 Prozent der Bevölkerung. Im Straßenbild von Juba sind auch immer mehr geistig verwirrte, offensichtlich traumatisierte Menschen zu sehen.
José Hulsenbek, Leiter von Ärzte ohne Grenzen in Juba, erklärt: "Drei Viertel der medizinischen Bedürfnisse werden von den südsudanesischen Behörden nicht erfüllt. Wir werden in den kommenden Jahren Personal für Krankenhäuser und Kliniken stellen, bis Südsudan genug Geld und Expertise hat, um unsere Arbeit zu übernehmen."
Wenn Südsudan das jemals will. Tong Albino Akot ist ein diplomierter psychiatrischer Krankenpfleger, der während des Krieges in Europa lebte. Vor zwei Jahren kehrte er in seine Heimat zurück und bot den Behörden seine Fähigkeiten an. "Sie hatten keine Verwendung für mich", sagt er. "Jetzt importiere ich Kartoffeln."
14 Jan 2011
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