taz.de -- Berlinalechef über Solidaritätsstreik: "Es ist alles so irrational"

Die Berlinale beteiligt sich nicht am internationalen Streik der Kulturschaffenden gegen die Verurteilung der iranischen Regisseure Panahi und Rassoulof, sagt ihr Chef Dieter Kosslick.
Bild: Jafar Panahi (bild) und sein Kollege Mohammad Rassoulof wurden im Dezember 2010 zu sechs Jahren Haft und 20 Jahre Berufs-, Reise- und Interviewverbot verurteilt.

Herr Kosslick, Sie haben Jafar Panahi in die Jury des Wettbewerbs eingeladen. Machen Sie sich Hoffnungen, dass er ausreisen darf?

Dieter Kosslick: Ja. Es ist alles so irrational, was da abläuft. Irgendwie hab ich noch ein Quäntchen Hoffnung, ohne zu wissen, worauf es basiert. Aber wenn das zum Beispiel stimmt hier, diese Meldung …

… dass der Leiter von Ahmadinedschads Büro das Urteil als zu streng einstuft.

Wenn das stimmt, dann ist noch Bewegung im Spiel. Es geht auch noch um die beiden deutschen Journalisten. Mit denen hat zwar die Berlinale nichts zu tun, aber es gibt viele Bemühungen, die ganze Situation zu entspannen. Also, vielleicht funktioniert doch noch was. Ich war oft im Iran, und ich kenne mich da auch ein bisschen aus.

Der iranische, in Paris lebende Regisseur Rafi Pitts hat für den 11. Februar, den Jahrestag der Revolution, zu einem zweistündigen Solidaritätsstreik aufgerufen. Schließt sich die Berlinale an?

Nein. Das haben wir mit Rafi Pitts auch gleich am Anfang besprochen. Natürlich ginge es, aber wir fangen am 11. Februar gerade an, dann müssten wir jetzt das gesamte Filmfestival umprogrammieren. Wir werden unsere Aktionen machen, wie wir sie geplant haben. Wir zeigen die Filme von Jafar Panahi, weil wir auf seine wunderbare Arbeit aufmerksam machen wollen. Mit "Offside" am 11. Februar um 16.30 Uhr im Berlinale Palast beginnen wir. Und die Versammlung auf dem Roten Teppich soll eine Demonstration der Solidarität werden. Rafi Pitts wird übrigens auch dabei sein, ebenso wie bei der Diskussionsrunde, die wir veranstalten.

Die Idee von diesem Streikaufruf ist ja, dass es sich um einen Präzedenzfall handelt: Filmemacher werden für eine Idee und nicht für einen Film verurteilt. Dieser Präzedenzfall ist so gravierend, dass es Maßnahmen braucht, die wehtun.

Aber wem tun sie eigentlich weh?

Dem Festival, den Besuchern und den Leuten, die von der Arbeit der Filmschaffenden leben, die wiederum unter Bedingungen arbeiten müssen, die für sie, die Filmschaffenden, zerstörerisch sind.

Man kann diese Meinung vertreten. Ich finde sie müssen den anderen wehtun. Wir haben von Anfang an eine andere Sache vorgehabt, die wir jetzt auch durchführen. Und wer streiken will, der kann streiken.

Das Festival von Cannes hat im Mai gezeigt, dass symbolischer Protest zu etwas führen kann. Panahi und sein Kollege Mohammad Rassoulof kamen damals aus der Untersuchungshaft frei. Andererseits hat symbolischer Protest möglicherweise etwas Wohlfeiles, insofern man dabei nichts riskiert.

Es gibt ungefähr 40 verschiedene Initiativen, die uns sagen, was wir auf der Berlinale machen sollen - und zwar aus der ganzen Welt. Wir glauben, dass das, was wir machen, gut ist. Und wir glauben auch, dass alles andere, was gemacht wird, gut ist. Einen Wettbewerbsfilm ausfallen zu lassen und stattdessen mit einem Film zu beginnen, den wir schon einmal gezeigt haben, ist für uns ein hartes Stück Brot. Und wir setzen auch noch auf den Gesprächsweg.

In diplomatischer Hinsicht? Könnten Sie dazu ein bisschen mehr sagen?

Ich schreibe Briefe, die veröffentlicht und auch beantwortet werden. Gerade jetzt schreibe ich einen Brief, ob man nicht doch noch was machen kann.

Sind Sie denn auch in Kontakt mit der deutschen Politik, etwa mit Guido Westerwelle?

Ja, wir haben uns an das Auswärtigen Amt gewandt. Die haben ja auch eine Erklärung abgegeben. Wir versuchen es gerade auf allen Wegen, die wir haben. Wir zeigen schon lange iranische Filme, und unsere Iran-Delegierte fährt jedes Jahr hin, ich war ebenfalls dort und kenne viele Leute.

Neben Panahi ist auch der Filmemacher Mohammad Rassoulof verurteilt worden. In Ihrer Presseerklärung haben wir nichts über ihn gelesen.

Es ist richtig, dass man auch ihn immer erwähnen muss. Es ist sicher nicht im Sinne von Panahi, dass der Kollege Rassoulof nicht genannt wird.

Zeigen Sie Filme von ihm?

Nein.

Warum nicht?

Wir könnten natürlich noch einen Film von ihm zeigen. Aber unser konkreter Anlass war Panahi, den wir in unsere Jury eingeladen haben. Natürlich werden wir beim Festival auch auf Rassoulofs Situation aufmerksam machen.

Kann man eigentlich sichergehen, dass Öffentlichkeit und Solidaritätsbekundungen den beiden verurteilten Regisseuren nicht schaden?

Nein. Das ist sicher ein Problem, weil man nicht weiß: Wo ist eigentlich die Grenze? Wenn ich jetzt eine Pressemeldung schreibe, schreibe ich da rein: "Das Regime hat ihn verurteilt"? Oder schreibe ich: "Ein iranisches Gericht"? Das ist ein großer Unterschied. Jafar Panahi ist ein wirklich mutiger Mann. Ich glaube, er weiß, dass Protest und Öffentlichkeit helfen. Und wenn man nichts machen würde, dann hätte es auf jeden Fall den Effekt, dass solche Strafen einfach so durchgehen.

Wie geht Ihre Filmauswahl im Iran konkret vonstatten? Vermutlich sehen Sie und Ihre Kollegen eine bestimmte Vorauswahl, die von den offiziellen Stellen getroffen wurde. Oder geht das anders?

Ja, man sieht die, und man sieht andere.

Wie sieht man die anderen?

Es gibt ja heute viele Möglichkeiten, einen Film zu zeigen. Da sitzt man zum Beispiel im Hotel, und jemand zeigt dir einen Film. Wenn du ihn magst, gibt es immer Wege, ihn zum Festival zu bringen. Das gilt nicht nur für den Iran, das gilt für alle Länder.

26 Jan 2011

AUTOREN

Kappert
Nord

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