taz.de -- Ökonom über die Krise in den Eurostaaten: "Ihr könntet Supermacht sein"

Der griechische Ökonom Yannis Stournaras versteht nicht, warum die Deutschen Angst haben, Eurostaaten zu helfen: Die Kosten seien gering, die Vorteile enorm.
Bild: "Deutschland nimmt Geld für 2,3 Prozent Zinsen auf und verleiht es für 5 Prozent an Griechenland. Das ist Populismus."

taz: Herr Stournaras, die griechische Regierung hat ein weiteres Sparprogramm für 2011 angekündigt. Die Kürzungen von 2010 hinzugerechnet - wie viel haben die griechischen Arbeitnehmer verloren?

Yannis Stournaras: Bei den Beamten sind es 20 Prozent ihres Einkommens, bei den Angestellten in öffentlichen Betrieben 30 Prozent. Die Löhne in der Privatwirtschaft sind kaum gefallen, dort macht sich die steigende Arbeitslosigkeit bemerkbar.

Was ist mit den Reichen?

Sie werden weiterhin geschont. 70 Prozent der Freiberufler zahlen keine Steuern. Wohlhabende Rechtsanwälte, Ingenieure und Apotheker geben ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze an. Die Regierung will dies ändern, aber ihr fehlen gute Manager und gute Juristen. Die Reichen klagen einfach gegen die Steuerbescheide, weil es sehr lange dauert, bis ein Fall vor Gericht verhandelt wird. Das bisherige System ist Teil des Problems.

Viele Deutsche fragen sich, wie es zu diesen Missständen kommen konnte?

Unsere europäischen Nachbarn neigen dazu, die griechische Geschichte zu vergessen. Den Bürgerkrieg von 1946 bis 1949 hat das reaktionäre Regime gegen die Linke nur gewonnen, weil es durch die CIA unterstützt wurde. Der Kalte Krieg fand zuerst in Griechenland statt. Napalmbomben wurden über unseren Bergen abgeworfen, längst bevor sie in Korea und Vietnam zum Einsatz kamen. Nach dem Ende der Diktatur 1974 haben sich die verschiedenen Regierungen für eine Art Populismus entschieden, um alle Teile der Bevölkerung zu befrieden. Unser Übergang zur Demokratie verlief reibungsloser als in Spanien oder Portugal. Aber der Preis war, dass die Gewerkschaften und andere Interessengruppen besondere Privilegien genossen.

Trotz der Sparprogramme steuert Griechenland auf den Bankrott zu. Nicht wenige Experten schlagen einen Schuldenerlass von 35 bis 60 Prozent vor.

Dies wäre das Ende der Eurozone. Sobald die Anleger begreifen, dass Abschreibungen drohen, würden sie sich aus Spanien, Portugal und Italien zurückziehen.

Die griechischen Staatsschulden nähern sich 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Japan hat bald 250 Prozent.

Aber die japanischen Staatsschulden werden durch die Ersparnisse der japanischen Bevölkerung gedeckt. Das Gegenteil gilt für Griechenland: Es hat enorme Auslandsschulden.

Trotzdem ist Griechenland wohlhabend. Die Schattenwirtschaft macht 25 bis 30 Prozent aus. Gehen Sie an einem beliebigen Freitagmittag zu einem Jachthafen rund um Athen: Sie werden nur Luxusjachten sehen, die zu den Inseln ablegen. Griechenland ist viel reicher, als es die offiziellen Zahlen nahelegen.

Wenn Sie gegen einen Schuldenerlass sind: Wie wollen Sie einen Bankrott vermeiden?

Der EU-Rettungsschirm sollte zu einem Europäischen Währungsfonds ausgebaut werden, damit Griechenland mehr Zeit bekommt, seine Schulden zu tilgen. Die Laufzeit der Kredite muss deutlich verlängert werden.

Die deutsche Regierung fürchtet, dass sie am Ende die griechischen Schulden zahlt.

Deutschland nimmt Geld für 2,3 Prozent Zinsen auf und verleiht es für 5 Prozent an Griechenland. Das ist Populismus. Niemand verlangt Geschenke. Wir benötigen nur einen Brückenkredit zu vernünftigen Zinsen, sodass wir Zeit für die nötigen Strukturreformen haben.

Nicht nur die Griechen wollen einen Europäischen Währungsfonds. Hinter den Kulissen wird von diversen EU-Ländern enormer Druck ausgeübt. Wird Deutschland nachgeben?

Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten die USA mit ihrem Marshallplan die Welt. Warum haben die Deutschen Angst vor einer solchen Politik? Die Deutschen sind finanziell ungeheuer stark. Ich bin erstaunt, dass sie nicht verstehen, dass sich ihnen eine einmalige Gelegenheit bietet: Sie könnten jetzt zu einer wirtschaftlichen Supermacht aufsteigen - mit enormem Einfluss nicht nur in Europa, sondern weltweit.

31 Jan 2011

AUTOREN

Ulrike Herrmann

ARTIKEL ZUM THEMA

Rettungspaket ist geschnürt: Für Portugal wird's ernst

EU, EZB und IWF wollen dem hochverschuldeten Land mit 78 Milliarden Euro aushelfen. Dafür muss die kommende Regierung kräftig sparen. Wichtige Fragen bleiben offen.

Finanzkrise in Griechenland: Nicht verkauft, sondern verwertet

Konservative deutsche Politiker schockten letztes Jahr mit ihrer Forderung, Griechenland solle einfach "ein paar Inseln verkaufen". Etwas ähnliches passiert jetzt wirklich.

Mehr Privatisierungen gefordert: Griechen sauer auf Kontrolleure

EU, IWF und EZB fordern mehr Privatisierungen und kritisieren die Proteste in Athen. Damit verärgern sie die griechische Regierung, die sich die Einmischung verbittet.

Solidarität für den Euro: Keine griechische Tragödie

Wirtschaftswissenschaftler sagen, die Kluft zwischen Arm und Reich gefährde die Währung. Im Euro-Memorandum 2010/2011 nennen sie Auswege aus der Krise.

Europa in der Eurokrise: Griechenland? Da war doch was.

Das Schuldenproblem der Griechen ist nicht gelöst, sondern nur verschoben. Nun kursiert ein neuer Vorschlag zur Umschuldung, der die privaten Gläubiger entlasten würde.

Gemeinschaftswährung in der Krise: Euro-Rettung ist vertagt

Die EU-Finanzminister können sich in Brüssel nur darauf einigen, dass sie sich demnächst einigen wollen. Das Problem ist erkannt: Der EU-Rettungsschirm ist zu klein.

Ökonom über die Eurokrise: "Der Rettungsschirm allein bringt nichts"

Wer mehr Geld in den EU-Hilfsmechanismus steckt, erfreut nur die Spekulanten, sagt Ökonom Stephan Schulmeister. Die Euroländer müssten die Zinsen selbst festsetzen.

Grünen-Parlamentarier über Euro-Krise: "Es wird nur bei den Löhnen gekürzt"

Der neue "Wachstumsbericht" der EU-Kommission sei einseitig, sagt Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im EU-Parlament und erklärt, die Kommission mache "die gleichen Fehler wie ihre Vorgänger".