taz.de -- Kommentar Frankreich: Wenn Diplomaten laut werden
Sarkozy hat aus wirtschaftlichen Interessen viel zu lange zur arabischen Revolution geschwiegen. Jetzt opfert er seine Außenministerin – um sich selbst zu retten.
Dass ausgerechnet Diplomaten mit ihrer Kritik an der französischen Staatsführung das Gebot der Zurückhaltung und ihre berufliche Schweigepflicht brechen, grenzt an Meuterei und ist symptomatisch für einen schweren Autoritätskonflikt im Staatsapparat. Die Berufsdiplomaten verurteilen die Außenpolitik von Nicolas Sarkozy als "amateurhaft", "improvisiert" und "impulsiv".
Sarkozys mangelnde Distanz zu Mubarak, Ben Ali und Gaddafi wird ihm nun zur Last. Gerade auf diese drei nämlich hatte er eine ehrgeizige Mittelmeerpolitik weitgehend abgestellt. Sie sollten Frankreichs Staatsführung Einfluss und der Rüstungs- und Nuklearindustrie Milliardenverträge sichern. Dafür drückte man gern mehr als nur ein Auge zu.
Dass sich die umschmeichelten Partner nun bei der historischen Wende in den arabischen Ländern als kompromittierende Freunde erweisen, war vorauszusehen, denn auch in einer "pragmatischen" Außenpolitik heiligt der Zweck weder alle Mittel noch den Umgang.
Vor allem aber haben es Sarkozy und seine Regierung versäumt, klar und sofort Partei zu ergreifen für die todesmutigen Demonstranten für Demokratie und gegen Diktatoren, die auf die Bevölkerung schießen lassen. Das Zögern ist mehr als nur peinlich und lässt sich nicht im Nachhinein mit einer Fernsehansprache des Präsidenten aus der Welt reden.
Gerade von dem Land der Aufklärung, das sich auch gern als "Wiege der Menschenrechte" bezeichnet, hätten die verfolgten Oppositionellen in den geschichtsträchtigen Stunden etwas ganz anderes verdient als betretenes Schweigen und als Dreingabe eine unglaubliche Serie von Fauxpas einer Außenministerin, die der Staatschef zur Sühne öffentlich opfern muss - um seinen eigenen Kopf zu retten.
27 Feb 2011
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