taz.de -- Kommentar Libyen: Somalia am Mittelmeer?
In Libyen droht ein langer, brutaler Bürgerkrieg und der Zerfall des Landes. Sanktionen und Kontensperrungen sind einem Warlord wie Gaddafi egal. Was zählt, ist militärische Macht.
Wer hoffte, der politische Umsturz in Libyen würde sich nach ähnlich geradlinigem Muster wie in Tunesien und Ägypten vollziehen, sieht sich nun eines Besseren belehrt. Gaddafi hat sich militärisch wieder gefangen und startet mit seiner verbliebenen Staatsmacht den Rachefeldzug gegen die Revolutionäre. Libyen droht ein langer, brutaler Bürgerkrieg und der vorläufige Zerfall des Landes. Nicht Tunesien steht derzeit für Libyens unmittelbare Zukunft Modell, es droht vielmehr ein Somalia am Mittelmeer.
Das erfordert, einen anderen Blick auf Libyen zu werfen. Das übliche Vorgehen der internationalen Diplomatie in Bürgerkriegssituationen besteht darin, durch UN-Resolutionen und Gipfelbeschlüsse den Konflikt einzufrieren und politische Prozesse einzuleiten, um Verhandlungen an die Stelle der Kämpfe treten zu lassen. Aber die Erfahrungen aus Staaten, die sich praktisch über Nacht von straffen Diktaturen in Bürgerkriegsländer verwandeln, stimmen pessimistisch: Friedensverhandlungen mit Gewaltherrschern wie Gaddafi sind zum Scheitern verurteilt. Sie verlängern nur das Leid und machen ihre Bevölkerungen zu Geiseln. Sanktionen, Kontensperrungen und Vorermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs sind skrupellosen Warlords egal. Was zählt, ist militärische Macht.
In Libyen muss es jetzt darum gehen, Gaddafi von der Macht zu verdrängen. Denn während sich die internationale Staatengemeinschaft über Hilfe für Flüchtlinge und neue Druckmittel den Kopf zerbricht, sterben täglich Menschen, und die Angst und die Verzweiflung der Libyer nehmen zu. Je schneller eine Entscheidung gegen Gaddafi fällt, desto besser. Wer Libyen helfen will, muss einen Weg finden, Gaddafi auszuschalten.
2 Mar 2011
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