taz.de -- Kommentar Wahl in Kasachstan: Steigbügelhalter der Anarchie

Die Despoten in Zentralasien werden vom Westen umgarnt – für Öl und Gas. Da stören auch keine fantastischen Wahlergebnisse wie in Kasachstan.
Bild: Ölpipeline vom kasachischen Tengis-Ölfeld zum russischen Hafen Noworossiisk.

Kasachstan reagiert auf die arabische Despotendämmerung mit Fantasiewahlen. Der seit 1989 regierende Präsident Nursultan Nasarbajew siegte am Sonntag mit gefakten 95 Prozent. Eine von Nepotismus und Korruption zerfressene Staatsmacht führt in Kasachstan zu steigenden Preisen und schlechten Berufschancen der Jugend, im Vergleich zu seinen zentralasiatischen Nachbarn geht es dem Land dank des Rohstoffreichtums aber noch gut.

In Zentralasien regieren 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion in Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan autokratische Präsidenten, deren Familien und Herrschaftseliten die Reichtümer der jeweiligen Länder ausbeuten. In Turkmenistan und Usbekistan sind Pressefreiheit und unabhängige Zivilgesellschaft ausgeknipst, die Menschen sind Geiseln des staatlichen Willkürapparates.

In Kasachstan und Tadschikistan gibt es Ansätze einer unabhängigen Presse und legalen Opposition, sie stehen aber unter Druck und können nicht in die Bevölkerung einwirken. Vor allem in Usbekistan mit knapp 30 Millionen Menschen hat die jüngere Generation keine Zukunftschance.

Doch noch gibt es ein Ventil. Anders als in Nordafrika können die Millionen Gastarbeiter aus Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan auf Baustellen in Russland und Kasachstan arbeiten und mit Geldüberweisungen ihre Familien ernähren. Viele junge Akademiker wandern zudem nach Russland aus. Die bestehende russische Visumsfreiheit schützt die Regime Zentralasiens noch vor arabischen Erschütterungen.

Allein Kirgistan bildet eine Ausnahme. Am siebten April 2010 verjagte zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren eine Revolte den Präsidenten. Die kirgisische Zivilgesellschaft erwies sich aber als zu schwach, nach dem Umsturz ein demokratisches Gemeinwesen zu etablieren. Der Staat wurde von Banditen und Klanführern gekapert und versinkt in Anarchie, die sich schon in Pogromen gegen die usbekische Minderheit entlud.

Das kirgisische Chaos nach dem Machtumsturz nutzen die Mächtigen in Zentralasien als abschreckendes Beispiel. Als in Usbekistan 2005 die Bevölkerung im Provinzstädtchen Andischan sich gegen die Willkürherrschaft wehrte, ertränkte der usbekische Präsident Islam Karimow den Aufstand in Blut.

Derweil begeht der Westen in Zentralasien nordafrikanische Fehler. Die EU, Deutschland und die USA umgarnen die dortigen Despoten. Es gibt Öl und Gas. Und durch Zentralasien führt die Nordversorgungroute für den Afghanistankrieg. In Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan nutzt die Nato Luftwaffenstützpunkte. Die Bundeswehr operiert von dem Stützpunkt im usbekischen Termes.

Der von der EU beschworene "Menschenrechtsdialog" mit den zentralasiatischen Regimen ist ein Täuschungsmanöver, um die realpolitische Ernte aus der Kooperation mit den Seidenstraßendespoten einzuholen. Eine kurzfristige Rechnung. Wie in Nordafrika sind die Despoten Zentralasiens nicht Bollwerk gegen Chaos und Anarchie, sondern deren Steigbügelhalter.

4 Apr 2011

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Marcus Bensmann

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