taz.de -- Angriff auf Rebellen in Misurata: Gaddafi nutzt spanische Streubomben
Fotos belegen den Einsatz der international geächteten Waffe gegen die belagerte Stadt Misurata. Die Munition wurde kurz vor dem Verbot nach Tripolis geliefert.
MADRID taz | Während sich spanische F-18-Bomber an der Umsetzung der UN-Resolution 1973 zum Schutz der libyschen Bevölkerung beteiligen, tötet Waffentechnik aus eben diesem Land Zivilisten in Misurata. Die Truppen von Oberst Muammar al-Gaddafi griffen in den vergangenen Tagen die einzige befreite Stadt im Westen Libyens mit Streumunition an. Die Granaten MAT-120 sind "made in Spain". Das belegen Fotos der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).
Laut Augenzeugenberichten kam es am Mittwoch und Donnerstag in den dicht bevölkerten Stadtteilen Shawahda, Maghdar und Kurzaz zum Einsatz von Streumunition. Vor einer Bäckerei sollen mindestens acht Menschen getötet worden sein, die um Brot anstanden, berichtet die New York Times aus dem belagerten Misurata, in dem am Sonntag wieder sechs Menschen beim Beschuss durch Gaddafi-Truppen getötet wurden.
Die MAT-120 ist eine Granate, die sich in der Luft öffnet und 21 Einzelgeschosse freisetzt. Diese schlagen wahllos in einem Umkreis von 50 bis 60 Metern ein. Jedes Geschoss kann bis zu 15 Zentimeter Panzerung durchschlagen. Bei der Explosion zerfallen die Einzelgeschosse in unzählige Metallsplitter mit verheerender Wirkung. Es handele sich, so HRW, um "Munition mit doppeltem Verwendungszweck (…) gegen Material und Menschen". Die MAT-120 stammt aus dem Hause Instalaza im ostspanischen Saragossa.
Obwohl Spanien mit 108 weiteren Ländern Ende 2008 ein Abkommen zum Verbot von Produktion, Lagerung und Einsatz von Streumunition ab 2010 unterschrieb, ziert die Granate noch immer die Homepage des spanischen Unternehmens. "Die Instalaza AG führt die MAT-120 weiterhin auf, um das erreichte technologische Niveau hinsichtlich der Sicherheit und Zuverlässigkeit dieser Munition zu zeigen", heißt es in einer Erklärung vom Wochenende. Es sei die "einzige Munition ihrer Art, die 0,0 Prozent gefährliche Fehlfunktionen" aufweist. Blindgänger würden sich am Boden selbst zerstören oder sich deaktivieren.
Das Verteidigungsministerium verweist darauf, das Spanien als erstes Land 2009 sein Streubombenarsenal vernichtete und damit Vorreiter des Verbots dieser Art von Munition sei. Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Bei den Verhandlungen über das Abkommen versuchte Madrid alles, um für die MAT-120 eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen. Als dieses Ansinnen scheiterte, vollzog Spanien eine Kehrtwende um 180 Grad. Kurz zuvor lieferte Instalaza - so Berichte von El País - noch ganz regulär für knapp vier Millionen Euro MAT-120-Granaten an Gaddafi.
17 Apr 2011
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Uno plant ein weiteres Streubomben-Abkommen mit schwächeren Standards. Der Bundestag berät am Donnerstag. NGO kritisieren die Bundesregierung.
Die Deutsche Bank soll indirekt Streubomben finanziert haben, die in Libyen abgeworfen wurden. In Deutschland ist das nicht verboten, in Belgien schon.
Soldaten von Gaddafis Armee sollen sich als Zivilisten verkleidet nahe Krankenhäusern und auf Moscheen positionieren. Großbritannien will Militärberater für die Rebellen schicken.
Gaddafi hat sich mit UN-Vertretern darauf geeinigt, Hilfslieferungen ins umkämpfte Misurata zu lassen. Laut den Rebellen in Bengasi sind bereits 10.000 Menschen getötet worden.
Die Truppen Gadaffis dringen bis ins Zentrum Misratas vor. Einer seiner Söhne weist Vorwürfe über Gewalt gegen Zivilisten zurück. Der britische Premier Cameron schließt eine Invasion aus.
Die Empörung des Westens über die libyschen Streubomben ist nicht glaubwürdig. Denn sie sind nicht "weltweit geächtet", da nur 56 Staaten ein Verbot ratifiziert haben.
Die Nato tut sich schwer den Libyen-Einsatz durchzuführen. Sie riskiert, in eine lange, hässliche Intervention zu schlittern. Das liegt an ihrer Uneinigkeit.
Die Nato-Außenminister beraten in Berlin über das weitere Vorgehen gegen Gaddafi. Briten und Franzosen fordern eine härtere Gangart. Deutschland möchte einen dauerhaften Krieg vermeiden.
Die Libyen-Kontaktgruppe berät in Doha über eine politische Lösung. Italien und Katar wollen die Rebellen bewaffnen. Fünf libysche Diplomaten müssen Deutschland verlassen.
Die Rebellen in Bengasi versuchen, die belagerte Stadt Misrata mit Booten zu versorgen. Dort fehlt es an allem – Decken, Lebensmitteln, Waffen. Drei Tage dauert die riskante Überfahrt.