taz.de -- Kommentar zu Libyen: Was Deutschland tun kann

Anstatt einen langen Krieg zu befeuern, den man weder gewinnen noch sich leisten kann, sollten westlichen Mächte endlich von ihren imperialen Rollen Abstand nehmen.
Bild: Tunesische Soldaten an der Grenze bei Dehiba.

Deutschland ist in den tonangebenden Medien der USA dafür kritisiert worden, dass es sich bei der Abstimmung über die UN-Resolution 1973, welche die gegenwärtige Militärkampagne gegen Libyen autorisiert hat, der Stimme enthielt. Doch Deutschland enthielt sich gemeinsam mit Brasilien, Indien, Russland und China, welche die Mehrheit der Bevölkerung des Planeten repräsentieren, und ist damit weit entfernt davon, in der Welt isoliert zu sein. Deshalb könnte Deutschland nun sogar eine führende Rolle dabei spielen, auf dem Verhandlungswege einen Ausweg aus diesem drohenden Sumpf zu finden.

Deutschland beugte sich dem Druck der Nato und der USA und schickte hunderte von zusätzlichen deutschen Awacs-Fliegern nach Afghanistan, um westliche Kräfte für den Einsatz in Libyen frei zu machen. Aber es gibt sicher etwas Besseres als einen Krieg anzuheizen, um einen anderen zu vermeiden.

Offensichtlich ist die Lage in Libyen kompliziert, was eine vorsichtiges und ausgewogenes Urteil umso wichtiger macht. Hätten Oberst Gaddafis Truppen die Einwohner von Bengasi massakriert, wäre Präsident Obama und westlichen Regierungschefs der Vorwurf gemacht worden, sie hätten die Augen verschlossen. Aus diesem Grund war die amerikanische Friedensbewegung gespalten bei der Frage, ob eine sofortiger Militäreinsatz nach dem Prinzip der "Schutzverantwortung" geboten war oder nicht. Aber es herrscht in den USA ein klarer Konsens darüber, dass Libyen kein zweites Afghanistan oder Irak werden darf und dass es dringender multilateraler Anstrengungen bedarf, um den libyschen Vulkan zu löschen.

Eine weitere Eskalation der Gewalt erscheint derzeit wahrscheinlich, und sei es nur, damit Frankreich, Großbritannien und die USA ihr Gesicht wahren können - sie alle haben sich dem Sturz Gaddafis verschrieben. So eine Eskalation der Gewalt könnte aber zu westlichen Truppen auf libyschem Boden sowie Massakern, sowohl in Bengasi als auch in Tripolis, führen.

Deutschland, die Türkei und internationale Menschenrechtsorganisationen sollten eine andere Form der humanitären Intervention anstreben. Wenn die gegenwärtigen Kämpfe zu einem Patt führen, ist es an der Zeit für einen internationalen Vermittlungsvorschlag, der folgende Elemente umfasst: einen sofortigen Waffenstillstand, eine Vereinbarung, dass Oberst Gaddafi die Macht abgibt und das Land verlässt, sowie ein politischer Übergang hin zu freien Wahlen und einer neuen Regierung. Dieser Prozess sollte durch eine Kontaktgruppe neutraler - oder zumindest militärisch nicht involvierter - Staaten wie Deutschland überwacht werden.

Die Aussichten für solch eine Lösung sind schlecht, aber nicht hoffnungslos. Die aufständischen Kräfte in Bengasi und ihre Verbündeten, die sich in Tripolis und anderen Städten verstecken, müssen akzeptieren, dass es keine "sofortige Befreiung" mit westlicher Hilfe geben wird. Die Gaddafi-Familie muss erkennen, dass das Spiel nach vierzig Jahren an der Macht vorbei ist, und sich darauf einlassen, von ihren übermächtigen Positionen abzutreten, um ihrem Land ein Blutbad und den Einmarsch ausländischer Truppen zu ersparen.

Auf diesem Wege könnten die USA und die Nato einen Sieg über Gaddafi erklären, die Macht vorübergehend an eine neue Koalition übergeben und weiter Bengasi verteidigen, ohne dem Ruf nach westlichen Bodentruppen Folge leisten zu müssen.

So eine Friedensmission dürfte nicht leicht sein. Doch als Alternative dazu droht dem Westen, immer tiefer in den Morast eines geteilten und explosiven muslimischen Landes hineingezogen zu werden. Anstatt zu versuchen, einen langen Krieg zu befeuern, den man weder gewinnen noch sich leisten kann, sollten westlichen Mächte endlich von ihren imperialen Rollen Abstand nehmen. Stattdessen könnten sie ihren Beitrag dazu leisten, die Spannungen abzubauen, indem sie etwa eine neue israelisch-palästinensische Friedensinitiative starten und erkennen, dass zu einer zeitgemäßen Definition von Menschenrechten, die es zu schützen gilt, ein lebenswürdiges Einkommen sowie das Recht auf Bildung und Ernährung dazugehören.

22 Apr 2011

AUTOREN

Hayden

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