taz.de -- Ruanda-Völkermordprozess: Alles wissen, nichts sagen

Im Völkermordprozess gegen Exbürgermeister Rwabukombe aus Ruanda wegen Massakern an Tutsi sprechen nur die Opfer. Wer den Angeklagten kennt, schweigt.
Bild: Rwabukombe mit Rechtsanwältin in Frankfurt.

FRANKFURT taz | Manchmal verliert Richter Thomas Sagebiel die Geduld. Seit über einer Stunde hat er Celestin K. vernommen. Erfahren hat er fast nichts. Dabei ist er sich sicher, dass K. mehr weiß. "Vielleicht sollten wir die Daumenschrauben anziehen", sagt Sagebiel.

Seit Mitte Januar beschäftigt sich das Oberlandesgericht Frankfurt nun mit dem ruandischen Exbürgermeister Onesphore Rwabukombe. Die Generalbundesanwaltschaft wirft ihm vor, während des Völkermords in Ruanda 1994 die Ermordung von über 3.700 Tutsi befohlen zu haben. Sagebiel hat bereits 18 Zeugen vernommen, wirklich nahegekommen ist das Gericht den Taten aber bislang nicht.

In den ersten Monaten des Prozesses ist es fast zu einem Gesetz geworden, dass alle, die den mutmaßlichen Völkermörder näher kennen könnten, eisern schweigen. Allein die Opfer sprechen - auch wenn es ihnen schwerfällt.

Da ist Marie-Luise K., die weint, als sie sagt, dass sie mit eigenen Augen gesehen hat, wie ihre Geschwister mit Macheten erschlagen wurden. Die Dolmetscherin reicht ihr ein Taschentuch. Oder der deutsche Theologe Wolfgang R., der berichtet, wie sich seine heutige Frau, damals hochschwanger, unter dem Bett versteckte, als ihre Familie erschlagen wurde. Als sie dort im Blut ihrer Geschwister lag, hätten die Wehen eingesetzt. Eine Nachbarin half ihr, das Kind zur Welt zu bringen - in Angst, selbst ermordet zu werden, weil sie als Hutu einer Tutsi half.

Diese Zeugen holen die 100 Tage, in denen 1994 in Ruanda über 800.000 Menschen systematisch ermordet wurden, in den deutschen Gerichtssaal. Doch zu Rwabukombe können sie nichts sagen. Sie kennen ihn nicht. So versucht das Gericht, aus Rwabukombes Umfeld Näheres zu erfahren.

"Es war ein Vertrauensbruch"

Celestin K. betreut das Internetforum DHR. Mit Politik habe das Forum wirklich nichts zu tun, beteuert er immer wieder. Dabei hat es nach der Verhaftung des Exbürgermeisters entlastende Informationen für Rwabukombe zusammengetragen. "Ich glaube ja, dass Sie uns auf den Arm nehmen", sagt Sagebiel. K. hat zuvor immer von "wir" gesprochen, ohne zu erklären, wen er meint.

Dabei haben wohl fast alle im Gerichtssaal dieselbe Vermutung: Es kann eigentlich nur die FDLR gemeint sein, die Hutu-Miliz "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas", die seit Jahren die Bevölkerung im Osten des Kongos terrorisiert und Ruandas Regierung stürzen will. FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka steht ab kommende Woche in Stuttgart vor Gericht.

Murwanashyaka war früher Vorsitzender von DHR. Murwanashyaka hat laut Richter Sagebiel auch den Verein SOS Ruanda gegründet, in dem sich K. ebenfalls engagierte. K. zufolge brach der Verein auseinander, als BKA-Beamte anfingen, die Mitglieder zu vernehmen. "Wir haben uns gefragt, woher sie die Namen haben", sagte K. "Die meisten sind wegen dieser Sache ausgetreten. Es war ein Vertrauensbruch."

Die Bundesanwaltschaft fragt K. nach Jean-Baptiste Gatete. "Ich habe den Namen schon mal gehört", sagt K. ausweichend. Gatete wurde Ende März 2011 vom Internationalen Ruanda-Tribunal der UNO wegen Völkermords zu lebenslanger Haft verurteilt - auch wegen eines Massakers, an dem Rwabukombe sich beteiligt haben soll.

Vernehmung per Videokonferenz

Ein anderer Zeuge kann zu Gatetes Verhältnis zu Rwabukome mehr sagen. Caspar N. machte im April 1994 als Theologiestudent ein Praktikum in der Kirche von Nyarubuye, einem der Orte der von Gatete angeführten Massaker. Das Morden dort habe sich intensiviert, als um den 14. April 1994 herum flüchtige Hutu von weiter nördlich ankamen, sagt er. Gatete und Rwabukombe hätten sie angeführt. N. konnte rechtzeitig fliehen.

Als er wenige Wochen später zurückkehrte, hätten ihm viele Augenzeugen berichtet, dass Gatete und Rwabukombe auf der Flucht vor vorrückenden Tutsi-Rebellen immer weiterzogen und Tutsi ermordeten. Als N. der Route folgte, habe er die Berichte anhand der an den Tatorten liegenden Leichen nachvollziehen können. Es sind solche Schilderungen, die erklären, warum Richter Sagebiel mit den Zeugen aus Rwabukombes Umfeld manchmal die Geduld verliert.

Nach der Osterpause wird der Prozess kommende Woche fortgesetzt, ab Mitte Mai kommen Zeugen aus Ruanda. Voraussichtlich im Juni sollen dann Mittäter, die jetzt in Ruanda im Gefängnis sitzen, per Videokonferenz vernommen werden.

28 Apr 2011

AUTOREN

Kraft

TAGS

Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda

ARTIKEL ZUM THEMA

Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Töten als Bürgerpflicht

"Arbeitet! Arbeitet!" So feuerte der Hutu-Bürgermeister seine Milizen vor der Kirche an, erinnert sich die Zeugin. Dann töteten sie über eintausend Tutsi.

Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: "Der Mann, der hier sitzt"

Erstmals haben im Völkermord-Prozess in Frankfurt Zeugen aus Ruanda ausgesagt. Sie sind die ersten, die den Ex-Bürgermeister Rwabukombe direkt belasten.

Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Den Opfern eine Stimme geben

Sie ist die prominenteste Tutsi-Überlebende des ruandischen Genozids in Deutschland: Esther Mujawayo, berichtet, wie sie den Angeklagten Onesphore Rwabukombe aufspürte.

Ruandische Hutu-Miliz FDLR: Reden von Frieden, aufrüsten für Krieg

Die Regierung verhandelt mit der ruandischen Hutu-Miliz FDLR über die Auflösung ihres Militärhauptquartiers. Ob dieses Angebot ernst ist, bleibt zu bezweifeln.

Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Die seltsamen Freunde

Der angeklagte ruandische Exbürgermeister Onesphore Rwabukombe war auch im deutschen Exil politisch aktiv. Sogar der Präsident der Hutu-Miliz FDLR unterstützte ihn.

Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: "Das ist ein Tutsi, ja"

Wie spricht man vor einem deutschen Gericht über den Völkermord in Ruanda? Ein Besuch beim Prozess gegen den Exbürgermeister Onesphore Rwabukombe.

Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Tag 3: Krieg um die Gutachter

Am 3. Verhandlungstag gegen den ruandischen Exbürgermeister Onesphore Rwabukombe lehnt das OLG Frankfurt einen der beiden Sachverständigen wegen Befangenheit ab.