taz.de -- Die Gewinner des Atomausstiegs: Sitzblockade bis 2016

Am Vormittag beschließt der Bundestag den Atomausstieg. Die Energiewende hat überraschende Gewinner - und Verlierer.
Bild: So sehen Gewinner aus: Bauplatz-Besetzer des seinerzeit geplanten Atomkraftwerks Wyhl am Lagerfeuer 1975.

Es ist vollbracht. Der Atomausstieg ist am heutigen Donnerstag besiegelt, falls die FDP bei der nächsten Bundestagswahl nicht die absolute Mehrheit erzielt. Ansonsten wird keine Partei ihn mehr rückgängig machen.

Schlechte Erinnerungen an den rot-grünen Kompromiss von 2002? Anders als damals sitzen heute bedeutende Teile der deutsche Wirtschaft beim Atomausstieg mit im Boot. Jetzt wird investiert. Energiewende, das wird ein Riesengeschäft.

Es war ein lupenreiner Marsch durch die Institutionen, den der Ökokapitalismus da hingelegt hat. Ein paar haben den Knall noch nicht gehört und werden es wahrscheinlich auch nicht mehr. Den Titel "Größter Loser" der Energiewende kann man getrost Jürgen Großmann verleihen. Es geht dabei weniger um den RWE-Konzern, in dem er Chef ist. Der hat ähnlich wie EnBW oder Eon zwar gewaltig an Börsenwert verloren. Kluge Unternehmer allerdings würden die Zeichen der Zeit erkennen. Neues Spiel, neues Glück. Dass denen auch nicht langweilig geworden ist die ganzen Jahre über: Strommarkt schön untereinander aufgeteilt, ein güldenes Geschäftsmodell war das, Konkurrenz fast Fehlanzeige. Doch statt die Ärmel hochzukrempeln und Geschäftssinn zu entwickeln, irrlichtert Großmann derzeit durch die Republik und faselt Horrorgeschichten von der Ökodiktatur. Dabei ist schlichtweg sein Geschäftsmodell am Arsch. Manche Bürger erdreisten sich sogar, ihren Strom einfach selbst zu erzeugen.

Und was machen eigentlich die Anti-AKW-Veteranen wie Jochen Stay jetzt? Klar, man kann bis 2016 für einen Atomausstieg im Jahr 2015 sitzblockieren, aber dann ist ja auch schon 2022. Dann bleibt nur noch die Emigration. Oder Freiburg, das liegt gleich neben Fessenheim in Frankreich. Den Schrottreaktor dort hätte wahrscheinlich sogar Helmut Kohl zwangsabschalten lassen. Als neues Feindbild bieten sich später kolonialistische Wüstensolarkraftwerke an. In Marokko. Auch gewinnen kann anstrengend sein.

Dann Buße: Kretschmann wählen

Oder gewinnbringend. Gottes schönste Gabe ist bekanntlich der Schwabe. Erst erfindet er den Geist des Kapitalismus, ohne den das Höllenfeuer des fossilen Zeitalters bekanntlich nie über uns hereingebrochen wäre. Dann Buße: Kretschmann wählen. Künftig ist der Schwabe großer Gewinner der Energiewende: Häusle bauen, Solarzeug aufs Dach, Investition von der Steuer absetzen, Förderung bekommen und Mieten kräftig erhöhen. Klammheimlich baut bereits die halbe Industrie im Südwesten irgendwelche Teile für Windräder.

Für die Grünen im Süden wird Regieren also zum Selbstläufer, abgesehen von einem gewissen Bahnhofsneubau. Statistisch gesehen werden sie nun immerhin 53 Jahre Baden-Württemberg regieren, bis dahin ist Daimler weltgrößter Solarkocherhersteller. Einziges grünes Problem: Demnächst werden sie für jedes ungeliebte Windrad zur Rechenschaft gezogen, während die letzten coolen Fundis durch adrette Jungkarrieristen ersetzt werden, die im Aufsichtsrat von Solarkonzern XY sitzen und keine Joints mehr drehen können. Die Grünen brauchen dringend ein neues Feindbild, sonst geben sie selbst bald ein gutes ab.

Bleiben noch Eisbären und Norbert Röttgen. Eisbären verlieren wie immer. Während Deutschland voll öko wird, scheitern international sämtliche Klimaverhandlungen. Die EU könnte vorlegen und ihre Klimaziele erhöhen, interessiert die Bundesregierung aber nicht. Außer Umweltminister Norbert Röttgen. Der hat in seiner Partei schon immer allen gesagt, dass Atomkraft schlecht und die Energiewende ein gutes Geschäft ist. Mein Gott, man stelle sich vor - ausgerechnet Norbert Röttgen als Gewinner der Energiewende.

30 Jun 2011

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Ingo Arzt

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