taz.de -- Wahlkampf in Berlin: Arm, aber Miete
Am 18. September wird in Berlin gewählt. Um fast 8 Prozent sind die Mieten binnen zwei Jahren gestiegen. Dennoch spielt das Thema im Wahlkampf keine große Rolle.
BERLIN taz | War es eine ernst zu nehmende Warnung oder nur eine Fußnote im ohnehin lahmen Berliner Wahlkampf? Als Gregor Gysi vor Kurzem eine Wahlkampfveranstaltung besuchte, waren auch ungebetene Gäste da. Eine Handvoll Hausbesetzer und Mieten-Aktivisten bildete ein Spalier und kritisierte die Bilanz der Linkspartei im rot-roten Senat. Auf einem Plakat stand: "In 8 Jahren 35 Sozialwohnungen gebaut. DIE LINKEn uns."
Zumindest die linke Szene in Berlin hat ihr Wahlkampfthema gefunden. "Damit noch was zum Leben bleibt", heißt das Motto, unter dem ein Bündnis für den 3. September zu einer "Mietenstopp"-Demo aufruft. Auch die Zahl der abgebrannten Autos steigt, je näher der Wahltermin am 18. September rückt. Und sie sorgen für größere Aufmerksamkeit als eine andere Zahl: Nahezu ein Drittel der Berliner Mieter ist wegen zu hohen Mieten bereits umgezogen oder denkt darüber nach, wie eine Umfrage von infratest dimap ergab.
"An den Wahlständen", sagte vor kurzem ein Grüner, "gibt es nur ein Thema: Mieten, Mieten, Mieten." Umso überraschender ist es, dass die Parteien das Thema bislang eher als Pflichtübung behandeln. Klaus Wowereit und seine SPD werben mit dem nichtssagenden Slogan "Mieter und Schutz". Die Grünen sind hin- und hergerissen zwischen dem Sozialthema Mieterhöhungen und dem Ökothema energetische Sanierung.
Und die Linkspartei, die von der eigenen Basis in Treptow-Köpenick in die Pflicht genommen wird? Deren Spitzenkandidat Harald Wolf fällt nichts anderes ein als ein tiefer Griff in die Stereotypenkiste: "Mieter vor Wild-West schützen", lautet die Parole auf den Wahlplakaten, als wäre die Linke in Berlin nicht seit zehn Jahren Regierungspartei, sondern eine ostdeutsche Oppositionsbewegung.
Duell Wowereit gegen Künast
Es ist schon ein seltsamer Wahlkampf. Lange Zeit gab es kein anderes Thema als das Duell zwischen Klaus Wowereit und seiner grünen Herausforderin Renate Künast. Nachdem der Amtsinhaber diesen Zweikampf gewonnen zu haben scheint, gibt es gar keins mehr. Entsprechend inhaltsleer sind die Parolen auf den Plakaten. "Berlin verstehen" (SPD) oder "Renate kämpft" (Grüne). Wer auch immer künftig regieren mag, lautet die Botschaft, wird vieles anders machen. Aber ändern wird sich wenig.
Namentlich die selbst ernannte Mieterpartei SPD befindet sich damit im Dilemma. "Im Vergleich mit anderen Städten haben wir noch einen entspannteren Wohnungsmarkt", sagt Landes- und Fraktionschef Michael Müller. "Nur nützt das den Menschen nicht viel, weil sie spüren, was sich hier verändert." Für die SPD sei das eine Gratwanderung: "Wir wollen, dass investiert wird und Arbeitsplätze geschaffen werden. Leider geht wirtschaftlicher Aufschwung auch mit Mietsteigerungen einher."
Vielleicht ist es dieser politische Stillstand, der die Stadt derzeit für Immobilieninvestoren so attraktiv macht. "Sexy wonen in ,arm' Duitsland" lautete unlängst die Schlagzeile einer holländischen Nachrichtenagentur. Porträtiert wurde Harry van Caem, ein Geschäftsmann, der in Berlin-Mitte gerade mit dem Bau der Luxuswohnanlage "Fellini-Residences" begonnen hat.
Neubau ist in der Hauptstadt wieder en vogue - wenn er sich im gehobenen Segment bewegt. Mausetot dagegen ist der soziale Wohnungsbau. Die Folge: Die Mieten steigen.
Investoren können sich freuen
Der neue Mietspiegel verzeichnete im August einen Anstieg gegenüber 2009 um fast 8 Prozent. Nicht eingerechnet sind dabei die Mieten bei Neuvermietung, die keinerlei Begrenzung unterliegen. Wer in Berlin derzeit auf Wohnungssuche ist, muss mit Mietpreisen ab 8 Euro pro Quadratmeter rechnen. Ganz nüchtern kommentierte Berlins parteiloser Finanzsenator Ulrich Nußbaum den Trend: "Ich glaube, die Berlinerinnen und Berliner werden sich daran gewöhnen müssen, dass die Preise mit den Jahren langsam steigen."
Die Investoren auf dem Berliner Immobilienmarkt können sich freuen. Brennende Autos und eine Mieterdemonstration verhageln ihnen das Geschäft nicht. Und von einer Protestbewegung wie der in Tel Aviv ist Berlin derzeit so weit entfernt wie die Politik von ihren Wählerinnen und Wählern.
Inhaltsleerer Wahlkampf, abwartende Wählerschaft. Für Reiner Wild, den Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, gibt es dafür auch eine sachliche Begründung. "Die Wählerinnen und Wähler wissen, dass für das Mietrecht nicht der Senat zuständig ist, sondern die Bundesregierung." Dem Senat blieben daher nur begrenzte Instrumente zur Verfügung. Auch da seien die Wähler realistisch: "Keiner erwartet, dass man mit einer Zweckentfremdungsverbotsverordnung alle Probleme löst."
Und noch etwas hat der Lobbyist der Mieter ausgemacht: Das Mietenthema ist in Berlin ähnlich segregiert wie der Wohnungsmarkt. Am Montag hat der Mieterverein gefordert, dass die Richtsätze für die Kostenübernahme der Mieten von Hartz-IV-Empfängern angehoben werden. Das Echo blieb gering. "Für dieses Thema gibt es keine Lobby", sagt Wild und fügt hinzu: "Für die meisten ist die Not noch nicht so groß, dass sie auf die Straße getrieben werden."
Beispiel Hamburg
Der Stadtsoziologe Andrej Holm weiß dafür eine einfache Erklärung. "Für Politiker ist Wohnungspolitik kein Gewinnerthema." Zu kompliziert sei die Materie, einfache Lösungen gebe es nicht. "Wenn in Berlin immer mehr Hartz-IV-Empfänger aus den Innenstadtbezirken nach Spandau oder Marzahn ziehen, interessiert das die Politik nicht, weil es keinen Protest gibt."
Doch das könnte sich bald ändern, meint Holm und verweist auf das Beispiel Hamburg. "Dort können sich selbst Leute aus der Mittelschicht nicht mehr den Kiez leisten, in dem sie gerne wohnen. Das schafft Aufmerksamkeit für das Thema. Auch bei den Journalisten, die ja auch zur Mittelschicht gehören."
Dafür suchen immer mehr Berliner nach privaten Lösungen. "Wenn sich die Mieten auf die 10 Euro zubewegen, ist Wohneigentum eine Alternative", sagt ein Architekt, für den eine Baugruppe mit Eigentumswohnungen bislang nie in Frage gekommen war. Nun aber heiße es, sich rechtzeitig vorzubereiten. "In zwei Jahren sind nicht nur die Mieten gestiegen, sondern auch die Bodenpreise."
Der wohnungspolitische Sprecher der Berliner Grünen, Andreas Otto, hingegen empfiehlt: "Wer will, dass die Mieten nicht noch schneller steigen, sollte in seiner Wohnung bleiben." So würden zumindest die Zuschläge für Neuvermietung nicht in den Mietspiegel fließen.
So sinnfrei der Berliner Wahlkampf sein mag. Er kann auch ehrlich sein.
19 Aug 2011
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