taz.de -- Video der Woche: "Mit Prost wird Allah abserviert"

"Kebap'n'bap": Mit "Willkommen" schrieb der türkische Musiker Cem Karaca vor 25 Jahren die Hymne zum 50. Jubiläum des Anwerbeabkommens aus der Türkei.
Bild: Sympathisch und eloquent: Karaca.

"Komm Türke - trink deutsches Bier / dann bist du auch willkommen hier / mit Prost wird Allah abserviert / Und du ein Stückchen integriert." Mit seiner sarkastischen Ballade "Willkommen" kommentierte der türkische Rockmusiker Cem Karaca schon vor 25 Jahren sarkastisch die deutsche Integrationsdebatte, die sich bis heute wie in einer Endlosschleife dreht.

Mit seiner rauchigen Stimme, die unter die Haut geht, machte Karaca darauf ein paar nicht ganz ernstgemeinte Vorschläge, wie es besser laufen könnte mit den Deutschen. Der Song wandelt zwischen Jazz und Rock und verströmt eine resignative Melancholie, er endet mit einem ironischen "Kebap'n'bap, n'bap"-Refrain.

Der Videoclip, den jemand dazu gebastelt und ins Internet gestellt hat, reiht Bilder von "Gastarbeitern" am Fließband oder, hoffnungsfroh, im Zug auf dem Weg nach "Almanya" lose aneinander, garniert mit Schnappschüssen des Musikers, die ihn mit üppigem Schnurrbart, langen Haaren und Siebzigerjahre-Riesenbrille zeigen. Sie sind wenig mehr als nur Ilustration. Was zählt, ist die Musik.

Der Song stammt von seinem Album "Die Kanaken", das eine absolute Ausnahme im Werk von Cem Karaca bildet, der in der Türkei eine echte Rocklegende war. Inden Siebzigerjahren gehörte zu den Mitbegründern des so genannten "Anadolu Rock", der westliche Rockmusik mit Elementen aus der anatolischen Folklore vermischte. "Cem Baba" wurde er von seinen Fans dafür ehrfurchtsvoll tituliert, "Vater Cem".

1979 aber musster er, wie viele andere in jener Zeit, vor drohenden Repressalien nach Deutschland ins Exil fliehen. In der Türkei warf ihm vor, die Bevölkerung gegen die Regierung aufgewiegelt zu haben, und nach dem Militärputsch von 1980 wurde ihm deshalb sogar zeitweise seine Staatsbürgerschaft aberkannt.

Doch 1987 konnte Cem Karaca wieder in die Türkei zurück kehren, wo er noch ein paar Alben veröffentlichte. Zuletzt konnte man ihn noch gelegentlich in Istanbul in kleinen Bars in der Nähe des Taksim-Platzes vor einem jung-durchmischten Publikum auftreten sehen. Er starb 2004, im Alter von 58 Jahren.

Zwei Jahren nach seinem Tod erschien ein Tribute-Album "Mutlaka Yavrum", auf dem junge türkische Rockstars wie Teoman und Haluk Levent seine Lieder, die längst zu Klassikern geworden sind, neu interpretierten.

"Es kamen Menschen"

"Die Kanaken", sein einziges deutschprachiges Album, lohnt die Wiederentdeckung. 1985 in einem Studio in Köln aufgenommen, kamen die Stücke teils in dem Theaterstück "Ab in den Orientexpress", teils in dem Rockmusical "Kanaken" zum Einsatz, das am Westfälischen Landestheater aufgeführt wurde. Es enthält noch weitere musikalische Leckerbissen, die man zum Teil, in kleine Videoclips vepackt, im Internet nachhören kann: Etwa das Stück "Es kamen Menschen", das auf das berühme Max-Frisch-Zitat anspielt und im Stil einer Moritat aus dem Brecht-Weill-Fundus beginnt, die sich in eine orientalische Musik verwandelt.

Oder der Song "Mein deutscher Freund", der das Leben in Deutschland mal aus der Perspektive eines türkischstämmigen Vaters, dann der Mutter und am Ende des Kindes beschreibt. Er schließt mit den pathetischen Zeilen "Türkisch Kind und deutsches Kind / ihr sollt unsere Hoffnung sein / da, wo jetzt noch Schranken sind / reißt sie nieder, stampft sie ein".

Mit diesem Songt trat Cem Karaca 1985 sogar in der beliebten Fernseh-Show "Bio's Bahnhof" bei Alfred Biolek auf. Die Aufnahmen, die davon existieren, sind ein echtes Zeitdokument. Ganz allmählich gleitet der Rocksong in eine immer orientalischer werdende Melodie über; zum Finale schlägt ein Musiker die große Trommel, während Cem Karaca wie auf einer türkischen Hochzeit ein weißes Tuch über den Kopf schwenkt. So war das damals.

2 Sep 2011

AUTOREN

Daniel Bax
Daniel Bax

TAGS

Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan
Deniz Yücel

ARTIKEL ZUM THEMA

Nachruf auf Musiker Erkin Koray: Gralshüter des Anadolu Rock

Erkin Koray war einer der Ersten, die in den 1960er Jahren Rockmusik in der Türkei adaptierten und die Szene prägten. Nun ist er in Toronto gestorben.

Video der Woche: Filmrolle spielt die Hauptfilmrolle

Kunst braucht Zeit. Der holländische Künstler Johan Rijpman beschleunigt sie und schafft es so, Banales in Beeindruckendes zu verwandeln.

Video der Woche: "Phone Story" nicht auf dem iPhone

Das Smartphone-Game "Phone Story" zeigt spielerisch Kritik auf, der Apple seit Jahren ausgesetzt ist. Kurz war es im App Store erhältlich, nun nicht mehr.

50 Jahre TürkInnen in Deutschland: Trendy, cool und sehr, sehr sexy

Schwarz & Weiß ist in der Schickeria angesagt: Türkisches Nachtleben in Berlin orientiert sich an Istanbuls Nightlife. Das lohnt sich!

50 Jahre TürkInnen in Deutschland: Küsse und Entschuldigungen

Die meisten Deutschen glauben immer noch gern, EinwanderInnen seien minderwertig. Und verdienten nicht einmal, dass man ihnen höflich und respektvoll begegnet.

50 Jahre Türkinnen in Deutschland: Çok yaşa, CDU!

Zum 50. Jahrestag des Einwanderungsabkommens mit der Türkei hier mal ein überfälliges Lob: Danke, CDU!