taz.de -- Jürgen Trittin über Berlin-Wahl: "Das Rennen wird knapp"

Fraktionschef Jürgen Trittin warnt seine Grünen: Nehmt den Piraten das Thema Bürgerbeteiligung wieder weg, sonst droht 2013 die große Koalition.
Bild: "Es geht um Partizipation, um Bürgerbeteiligung, um demokratische Fragen."

taz: Herr Trittin, was bedeutet der Aufstieg der Piraten für die Grünen?

Jürgen Trittin: Das ist strukturell das schwierigste Problem, das uns aus diesem Wahlergebnis erwächst. Zwar sprechen zurzeit die Umfragen stets für rot-grüne Mehrheiten. Doch warne ich immer: Das wird zur Bundestagswahl 2013 hin ein knappes Rennen, bei dem wir nichts zu verschenken haben - zumal die SPD von Wahl zu Wahl schwächelt. Da kommt es auf die Grünen an.

Wenn bei der Endabrechnung auch nur ein oder zwei Prozent fehlen, ermöglicht der Aufstieg einer solchen Partei wie die Piraten die große Koalition. Ich gönne den Piraten ihren Erfolg - Glückwunsch an dieser Stelle -, aber diesen zu verstehen, wird die drängendste Aufgabe der kommenden Woche.

Mit welcher Vermutung gehen Sie in die Diskussion?

Es wäre kurzsichtig zu glauben, dies seien Leute, die wir mit kluger Netzpolitik für uns gewinnen könnten. Da gehört mehr dazu.

Coolness? Stil? Sympathische Plakate?

Die Leute nehmen ihre Stimmabgabe viel zu ernst, als dass sie dabei bloß über Stilfragen entschieden. Es geht um Partizipation, um Bürgerbeteiligung, um demokratische Fragen. Hier werden wir ansetzen müssen.

Warum hat Renate Künast ihr Wahlziel nicht erreicht?

Renate hat das beste Ergebnis aller Zeiten für die Berliner Grünen geholt. Wenn sie sich nicht zu Beginn das hohe Ziel gesteckt hätte, Bürgermeisterin zu werden, wäre ein solch hervorragendes Ergebnis nicht erreicht worden. Dazu gehört auch die Marginalisierung der FDP.

Vielleicht ist es ja umgekehrt: Wären die Grünen nicht so großmäulig aufgetreten, hätten sie mehr Sympathien gewahrt.

Die Grünen sind mit dem Anspruch angetreten, die Stadt zu verändern und sie aus der rot-roten Tiefschlafphase herauszuholen. Auch dieses Ziel haben wir erreicht.

Welche Fehler wurden im Wahlkampf gemacht?

Bei einem solchen Rekordergebnis diskutiert man auch, was man noch besser machen kann. Aber das tun die Berliner Grünen, die anders als die SPD und die Linke nicht verloren haben.

War es falsch von Renate Künast, sich so spät von Grün-Schwarz abzuwenden und sich auf Rot-Grün festzulegen?

Renate und die Berliner hatten immer betont, dass eine grün-rote Mehrheit ihr erstes Ziel war. An dieser Grundausrichtung konnte es nie Zweifel geben. Als aber die CDU im Wahlkampf auf einen aggressiven antigrünen Kurs umgestiegen ist, haben wir das deutlich klargestellt.

Das ist jetzt aber etwas schlapp. Natürlich sahen die Grünen ihre Kernwähler davonlaufen, weil die grün-schwarze Möglichkeit offen blieb.

Nein, wir mussten nach den Attacken der CDU klarmachen, dass unsere guten Inhalte unter solchen Bedingungen mit solch einer CDU nicht zu verwirklichen wären.

Nun schrumpfte im Laufe des Wahlabends der rot-grüne Vorsprung bedenklich, und plötzlich fragte man sich: Warum redet keiner über Rot-Grün-Rot?

Weil es nicht nötig ist. Es sind immerhin zwei Stimmen Vorsprung. Und die Opposition, die einer rot-grünen Regierung gegenüberstünde, ist gespalten: von der Linken über Piraten bis zur CDU.

20 Sep 2011

AUTOREN

Ulrike Winkelmann

TAGS

Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin

ARTIKEL ZUM THEMA

Sind die Piraten die neuen Grünen?: Mein Porno gehört mir

Die Parallelen zwischen den Grünen und den Piraten sind auffällig. Je genauer man hinschaut, desto klarer werden aber auch die Differenzen.

Grünen-Konkurrenz Piratenpartei: Ups, die sind ja gefährlich!

Der sensationelle Erfolg der Piraten alarmiert die Grünen: Sie bekommen im linken Lager Konkurrenz, die auf die gleiche Klientel zielt - allerdings ohne Frauenquote.

Grüne nach Berlinwahl: Der Traum ist aus

5 Prozent mehr und doch verloren: Die Kandidatur Renate Künasts weckte himmelhohe Erwartungen. Jetzt sind die Grünen in der Realität gelandet.

Nach der Berlinwahl: Der Fluch der Karibik

Jubel bei den Piraten. Die FDP wird zur lachnummer. Die SPD gewinnt, aber verliert Stimmen, bei den Grünen ist es umgekehrt. Und die Linke muss in die Opposition.