taz.de -- Kommentar Chirac: Bananenrepublik Frankreich

Das Ansehen des pensionierten Staatschefs Chirac soll nicht mit alten Geschichten befleckt werden. Dies verlangt offenbar die französische Staatsräson.

Von Gefälligkeit war mehrfach die Rede beim Prozess gegen den früheren französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac. Ihm und ehemaligen Mitarbeitern wurde nach langwierigen Ermittlungen vorgeworfen, jahrelang mit Gefälligkeitsjobs öffentliche Gelder der (damals von Chirac regierten) Stadt Paris unterschlagen zu haben.

Dass Vertreter der Anklage einen umfassenden Freispruch in allen Punkten und für alle Angeschuldigten verlangen, ist ohnehin schon selten. In Chiracs Fall aber wurde dieser Antrag in einer derart provozierenden Weise und fast im Widerspruch zu den Erkenntnissen des Ermittlungsdossiers und sogar der Aussagen von Nutznießern dieser Scheinanstellungen begründet, dass der Verdacht, da sei die Justiz einer Bananenrepublik am Werk, aufkommen muss.

Die Staatsräson verlangt offenbar, dass das Ansehen des pensionierten Staatschefs nicht mit solchen alten Geschichten befleckt wird. Der Unwille der staatlichen Anklage, gegen den früheren Staatschef ernsthaft vorzugehen, war dabei von Anfang an klar und bekannt. Die dem Justizministerium unterstellte Staatsanwaltschaft hatte eine Einstellung des letzten gegen Chirac noch anhängigen Verfahrens verlangt.

Der Antrag auf völlige Rehabilitierung ist also nur logisch und dürfte ebenfalls der vorgesetzten Regierungsstelle gefallen, die sich in Frankreich oft nicht scheut, mit direkten Anweisungen den Anklagevertreter ihre Wünsche (oder Befehle?) zu übermitteln.

Dass es dabei mit der - in Frankreich erfundenen - Gewaltenteilung zwischen politischer Macht und Justiz nicht weit her ist, ist offensichtlich. Das diskreditiert das Rechtssystem ebenso wie die Politik, deren Exponenten trotz des Verfassungsgrundsatzes der "Egalité" offenbar gleicher sind als andere Bürger.

21 Sep 2011

AUTOREN

Rudolf Balmer
Rudolf Balmer

TAGS

Schwerpunkt Frankreich

ARTIKEL ZUM THEMA

Frankreichs Expräsident Jacques Chirac: Der „Bulldozer“ ist tot

Chirac war der populärste ehemalige Staatschef seines Landes, aber immer politisch kontrovers. Nun ist er im Alter von 86 Jahren gestorben.

Jacques Chirac schuldig gesprochen: Frankreich doch Rechtsstaat

Als Pariser Bürgermeister hat er Parteifunktionäre auf die Gehaltsliste der Stadt gesetzt. Jacques Chirac bekam zwei Jahre Haft auf Bewährung.

Prozess gegen französischen Expräsident: Chirac schuldig gesprochen

Im Prozess wegen Veruntreuung ist der ehemalige französische Präsident Jacques Chirac zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Die Verteidigung erwägt, Berufung einzulegen.

Kommentar zur französischen Linken: Nur Obstruktion geht nicht

Falls die neue Senatsmehrheit nicht in der Lage ist, selber konstruktive Vorschläge zu machen, liefert sie dem unpopulären Präsidenten nur eine Ausrede.

Korruption in Frankreich: Für Sarkozy wird es jetzt eng

Staatspräsident in arger Bedrängnis: In einer Unterschlagungs- und Schmiergeldaffäre wird nun gegen zwei enge Vertraute Sarkozys ermittelt.

Staatsanwaltschaft fordert Freispruch: Justizposse um Jaques Chirac

Ein fragwürdiger Prozess geht zu Ende. Der ehemalige französische Präsident Jacques Chirac wird wohl nicht wegen verschiedener Korruptions- und Finanzdelikte belangt.