taz.de -- Wahlkampf in Polen: Anti-deutsche Stimmungsmache
Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski attackiert Kanzlerin Merkel und Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach. Die soll im Falle seines Sieges nicht mehr nach Polen reisen.
WARSCHAU taz | Ein "Merkel-Gate" erschüttert seit gestern Polens Politszene. Auslöser ist Jaroslaw Kaczynski, der für seine germanophoben Ausfälle bekannte rechtsnationale Oppositionsführer.
In einem Buch "Das Polen unserer Träume", das er pünktlich zu den polnischen Parlamentswahlen an diesem Wochenende publiziert, behauptet er, dass Angela Merkel unter "unsauberen Umständen" zur Kanzlerin gewählt wurde. Als ihn Journalisten von Newsweek Polska fragten, ob er damit insinuieren wolle, dass dunkle Mächte Merkel zur Macht verholfen hätten, womöglich die Stasi, dementierte Kaczynski dies nicht, sondern winkte nur ab: "Es reicht, wenn Angela Merkel versteht, was ich damit meine. Das reicht."
Polnische Journalisten, die sich so nicht abspeisen lassen wollen, hakten immer wieder nach. In einem Fernsehinterview erläuterte Kaczynski schließlich, dass nach der Wiedervereinigung der beiden Deutschlands "Druck ausgeübt" worden sei und dann eine "Person aus Ostdeutschland" notwendig geworden sei. Wer diesen "Druck" ausgeübt und Angela Merkel auf den Kanzlerposten gehievt habe, wollte Kaczynski nicht sagen. Die Wähler alleine schienen es ihm zufolge nicht gewesen zu sein.
In ähnlich antideutsch-verschwörerischem Ton ist das ganze Kapitel "Angela Merkel oder eine spezielle Nachbarschaft" seines Buchs gehalten. Die Kanzlerin Deutschlands betreibe eine Politik der "weichen Unterdrückung" Polens, so Kaczynski weiter. Der von Deutschland nicht unterstützte Irakkrieg, Deutschlands angeblich imperiale Großmachtpolitik, die dazu führen werde, dass Polen eines Tages ohne die Westgebiete aufwachen könne, sind weitere Punkte, die Kaczynski in seinem Wahlkampf antideutsch instrumentalisiert.
Auch die Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach muss wieder als Schreckgespenst herhalten. Sie werde, sollte Kaczynski zum Premier Polens gewählt werden, zur "Persona ingrata" erklärt und nicht mehr nach Polen eingelassen. Als Antwort auf das in Berlin geplante Vertriebenenmuseum solle in Posen ein "Museum der deutschen Verbrechen" und in einer anderen Stadt ein "Museum der polnischen Westgebiete" entstehen.
Mit großem Pomp kündigte Kaczynski an, dass er alle deutschen Journalisten verklagen wolle, die ihm etwas unterstellten, was er nicht gesagt habe. Die so gesammelten Geldbußen sollten dem "Museum des Zweiten Weltkriegs" in Danzig zugute kommen.
5 Oct 2011
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Es sieht gut aus für Donald Tusk. Nach aktuellem Stand kommt der polnische Ministerpräsident auf 39 Prozent der Stimmen. Doch auch die neue Protestpartei Ruch Palikota feiert Erfolge.
Erstmals könnte mit dem Skandalpolitiker Janusz Palikot eine antiklerikale Partei ins Parlament kommen. Junge Wähler sind von den Tabubrüchen begeistert.
Prognosen sehen Premier Donald Tusk und seine Bürgerplattform bei der Wahl vorn. Doch eine niedrige Wahlbeteiligung könnte dies noch vereiteln.
Wenn sie es ins Parlament schafft, will Alicja Tysiac sich vor allem für Frauenrechte einsetzen. Als Opfer des polnischen Katholizismus hat sie allen Grund dazu.
Polen hat sich für in Europa viel vorgenommen: Die militärische und energiepolitische Sicherheit hat Priorität. Ungarns Erbe halten Experten für so schlecht nicht.
Zwanzig Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag: Bei seiner Festrede in Berlin kündigt Polens Präsident Komorowski eine neue politische Agenda an.
Im Februar 1943 wurde Horst Köhler in Skierbieszow an der polnisch-ukrainischen Grenze geboren. Bei seiner Wiederkehr begegnet er aufgeschlossenen Menschen.