taz.de -- Notstand in Krippen: Auf die Kitaplätze, fertig, los
Die Länder hinken den Kita-Ausbauzielen hinterher, im Westen fehlen 250.000 Plätze. Das Familienministerium will am Rechtsanspruch für unter Dreijährige festhalten.
BERLIN taz | Die Zeit wird knapp für Bund, Länder und Gemeinden. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung werden wohl Tausende Eltern trotz Rechtsanspruch ab August 2013 keinen Krippenplatz für ihre unter dreijährigen Kinder bekommen. Den Statistischen Landesämtern zufolge fehlen in den alten Bundesländern noch mehr als 250.000 Plätze.
"Das Tempo des Ausbaus hat eher ab- als zugenommen", räumte auch der Sprecher von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), Christoph Steegmans, am Dienstag ein. "Es gibt für uns derzeit aber keinen Grund, am Rechtsanspruch zu rütteln."
Am Dienstag gibt das Statistische Bundesamt bekannt, wie viele Kinder unter drei Jahren zum 1. März diesen Jahres eine Kita besuchten. Die Zahlen werden den Notstand sehr wahrscheinlich bestätigen.
Bund und Länder hatten 2008 das Recht auf einen Kitaplatz für ein- bis dreijährige Kinder beschlossen. Um den Anspruch umzusetzen, sollen die Länder bis 2013 für 35 Prozent aller Kleinkinder - von diesem Bedarf ging man aus - Plätze in Kitas oder bei Tagesmüttern schaffen.
Doch tun sich die Länder offenbar schwer damit. Wie der Spiegel berichtet, riefen sie bis Oktober erst die Hälfte der über 2 Milliarden Euro ab, die der Bund für den Krippenausbau zur Verfügung stellt: "Die Länder müssen jetzt sagen, wie sie die Lücke schließen wollen", sagte Steegmans.
Schlusslicht beim Krippenausbau ist den Daten des Statistischen Landesamts zufolge Nordrhein-Westfalen. Hier werden derzeit nur knapp 16 Prozent der Kleinkinder tagsüber außer Haus betreut. Das SPD-geführte Familienministerium kommentierte dies lapidar: "Das ist ein mehr als schlechtes Zeugnis für die Familienpolitik der ehemals schwarz-gelben Landesregierung."
Der deutsche Städtetag prognostiziert sogar einen weitaus höheren Bedarf, als 2008 veranschlagt. So könnten sogar für bis zu 50 Prozent aller berechtigten Kinder ein Krippenplatz benötigt werden. Um zu verhindern, dass Städte und Gemeinden Schadenersatz zahlen müssen, hatte Städtetagspräsident Christian Ude bereits verlangt, "geeignete Maßnahmen" zu ergreifen. Das heißt im Klartext: Wenn der Rechtsanspruch nicht erfüllt werden kann, muss er weg.
Der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach, hält dies für ein gefährliches Signal: "Hier geht es um politische Glaubwürdigkeit", sagte er der taz. Bund, Länder und Kommunen müssten sich stattdessen zusammensetzen und beraten, wie man das Ausbauziel noch umsetzen könne. Solch einen "Krippengipfel" fordert auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
7 Nov 2011
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Ab 2013 gilt ein Rechtsanspruch auf Kita-Plätze. In NRW ist die Versorgung bisher am schlechtesten. Ein Förderprogramm war wegen Erfolg plötzlich gestoppt worden.
Schröder gilt als das schwächste Mitglied im Kabinett, Familien fühlen sich von ihr nicht vertreten und Frauen winken ab, wenn sie nur ihren Namen hören.
In Köln sind Eltern auf teure Tagesmütter angewiesen, da es nicht genug Kitaplätze gibt. Die SPD fordert so schnell wie möglich einen neuen Krippengipfel.
Die Regierungskoalition will für Kleinkinder, die nicht in die Kita gehen, ein Betreuungsgeld von bis zu 150 Euro pro Monat zahlen. Der Bundesrat kann das noch stoppen.
Eine Woche vor dem Abgabetermin hat das Volksbegehren Horte noch kein Drittel der erforderlichen Unterschriften zusammen.
Bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren macht eine "Kinderphase" von 15 Jahren einen Bruchteil der Lebenszeit aus. "Karriere ab 40" wäre ein Schlagwort mit Perspektive.
Im aktuellen Familienbericht fordern ExpertInnen eine aktive Zeitpolitik, etwa gleitende Arbeitszeiten. Auch Kitas müssten flexibler öffnen.
Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen ist anstrengend, lohnt sich aber, sagt Andrea Rohmeder. Entscheidend sind Partner und Arbeitgeber, die mithelfen.